Die Lüge
Möglichkeit, die Nadia im Zusammenhang mit Herrn Schrag erwähnt hatte. «Liebe Nadia, ich bestehe nicht darauf, weiter für dich die schmollende Ehefrau zu spielen. Ich bekomme ab sofort …» Doch das war nicht ihre Art.
Ihr Blick wanderte zu dem Kasten unter dem Schreibtisch. Sie fühlte sich wie ein Kind, das sich über ein striktes Verbot hinwegsetzte, als sie den Einschaltknopf drückte. In den beiden Vertiefungen glühte es gelb und rot. Im Kasten begann es zu zirpen. Über den Bildschirm flimmerten einige Angaben. Dann erschien in der Mitte die Anzeige: Enter Password.
Sekundenlang saß sie da, starrte die Aufforderung an wie eine ertappte Sünderin und fragte sich, was der Quatsch sollte. Befürchtete Michael Trenkler, seine Frau könne in Laborergebnissen schnüffeln? Oder hatte er Angst, dass Nadia die Telefonnummer der Labormaus im Computer fand? Frustriert drückte sie nochmal auf den Knopf, um den Rechner wieder auszuschalten, doch das funktionierte nicht. Sie kroch unter den Schreibtisch, entdeckte dort zuerst den ausgezogenen Telefonstecker, untersuchte den Kasten und fand auf der Rückseite einen Schalter. Den musste sie zweimal drücken, dann war alles wieder so wie zu Anfang.
Nochmal gut gegangen. Doch solche Experimente wolltesie lieber nicht mehr machen. Dass der Computer entschieden mehr war als ein Arbeitsgerät, hatte ihr der Bildausschnitt von Vorgarten und Straße beim ersten Aufenthalt gezeigt. Er erschien auch jetzt wieder, kaum dass das grüne Lämpchen erneut aufgeflammt war. Am Straßenrand hielt ein Postauto, der Briefträger stieg aus und kam auf das Haus zu. Aus ihrer Perspektive machte er sich an der Hauswand neben der Tür zu schaffen und verschwand wieder. Kurz darauf verschwand auch der Bildausschnitt.
Sie ging nach unten. Das Handy blieb auf dem Schreibtisch zurück. Zuerst kontrollierte sie, ob es einen Briefkasten außen an der Hauswand gab, den sie in der Aufregung übersehen hatte. Es gab keinen, nur einen Schlitz in der Außenwand. Etwa auf gleicher Höhe an der Innenwand befand sich eine Klappe mit einem kleinen Loch, die ihr bisher entgangen war. Der Briefkasten musste in das Mauerwerk eingelassen sein. Öffnen konnte sie ihn nicht. Ein passender Schlüssel für das Loch war nicht am Bund.
Sie ging in den Keller, um sich Appetit für das Mittagessen zu holen. Die Entscheidung fiel ungeheuer schwer angesichts der Auswahl in den beiden Gefrierschränken. Diesmal lag entschieden mehr darin als nur ein paar Fertiggerichte. Es war ein kulinarisches Paradies, bei dessen Anblick ihr trotz des üppigen späten Frühstücks das Wasser im Mund zusammenlief. Sie entschied sich für ein Schweineschnitzel mit Champignons, grünen Bohnen und Spargel, trug alles in die Küche und beschloss, die Auftauzeit für ein entspannendes Bad zu nutzen.
Und wieder stand sie vor der Qual der Wahl, ein Badeöl, ein Schaumbad oder eine der rosafarbenen Kugeln zu nehmen. Die Kugeln reizten sie am meisten. Sie holte das Glas aus dem Gästebad, warf zwei ins einlaufende Wasser und genoss, wie sie sich auflösten, einen öligen Film auf der Wasseroberflächeverursachten und den Raum mit dezentem Duft erfüllten. Schon das war ein Erlebnis besonderer Art und entschädigte sie ein wenig für den Frust am Computer.
Niemand, dem ständig eine Wanne zur Verfügung stand, konnte ermessen, was es für sie bedeutete. Das letzte Bad hatte sie kurz vor ihrem Auszug aus dem Haus ihrer Schwiegermutter genommen. Und von Entspannung hatte dabei keine Rede sein können. Ramie war schon da gewesen und hatte ebenfalls baden wollen. Umso größer war der Genuss jetzt.
Als die Wanne zu einem Viertel gefüllt war, klingelte im Arbeitszimmer das Handy. Das konnte nur Nadia sein, es wusste sonst niemand, dass sie nun telefonisch erreichbar war. Sie hatte es nicht mal ihrer Mutter gesagt, weil sie nicht wusste, ob sie das Handy behalten durfte. Ein rascher Blick auf Nadias Armbanduhr zeigte halb eins, es war eine lange Fahrt gewesen. Im Hinausgehen warf sie Wäsche und Handtuch achtlos aufs Bett, stürmte ins Arbeitszimmer, nahm den Anruf entgegen und meldete sich mit: «Gut angekommen?»
«Frau Trenkler?», fragte eine Männerstimme mit hartem Akzent.
«Nein», sagte sie und unterbrach die Verbindung. Sekunden später klingelte es erneut. Sie lief ins Schlafzimmer und wählte die Nummer von Nadias Handy auf dem Apparat neben dem Bett. Es meldete sich eine Frauenstimme mit dem Hinweis, der Teilnehmer sei
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