Die Lüge
Anweisung, nicht an die Tür zu gehen, zum Trotz – das nutzlose Handy ans Ohr, öffnete und sagte: «Sekunde, Helga.»
Joachim Kogler strahlte übers ganze Gesicht, drückte ihr den Blumenstrauß in die freie Hand, zerrte ein Blatt Papier aus der Hosentasche, riss sie gleichzeitig an sich und tätschelte ihr ungeachtet des Telefons an ihrem Ohr den Rücken. Dabei jubelte er: «Ich wollte es nicht glauben, als du das gestern sagtest. Aber jetzt habe ich es schriftlich, es ist heute Morgen gekommen. Ich fasse es noch gar nicht.»
Sie hing an seiner Brust wie eine Kleiderpuppe, ließ die Hand mit dem Telefon sinken und flehte alle Heiligen im Himmel an, ihn ein paar Worte sagen zu lassen, die Rückschlüsse auf den Grund seiner Euphorie zuließen. Endlich stellte er seine Tätschelei ein, umfasste ihre Schultern, schob sie ein Stück von sich ab und hielt ihr das Papier unter die Nase. Alfo Investment, las sie, zu mehr kam sie nicht. «Dreißig Punkte», sagte er fassungslos glücklich. «Jetzt ärgere ich mich natürlich, dass ich nicht mehr aufgenommen habe. Soll ich abwarten? Meinst du, die gehen noch höher?»
Er konnte nur von Aktien sprechen. Nadia hatte ihm wohl einen Tipp gegeben. Und er hatte daraufhin einen Kredit aufgenommen? Was für ein Leichtsinn! Sie blies die Backen auf, ließ die Luft langsam entweichen und wiegte bedächtig den Kopf. «Schwer zu sagen. Du solltest kein Risiko eingehen.»
Joachim Kogler schnupperte, runzelte die Stirn und wurde auf der Stelle todernst. «Hast du getrunken?»
Sie imitierte Nadias lässiges Achselzucken, wollte sagen, nur ein Schlückchen. Doch bevor sie dazu kam, sagte er: «Nadia, mach doch keinen Unsinn. Was ist denn los? Hat Michael wieder gemeckert?» Er wedelte mit dem Alfo-Investment-Schreiben und versprach: «Ich rede mit ihm. Das ist doch ein Argument.»
«Nicht nötig», versicherte sie eilig. «Es ist alles in Ordnung, wirklich. Ich wollte mir nur gerade etwas zu essen machen.»
«Dann nimm reichlich Zwiebeln und Knoblauch», riet er immer noch todernst. «Und wenn es ein Problem gibt, kommst du rüber.»
«Ja», sagte sie. «Aber es gibt kein Problem, wirklich nicht.» Sie hob den Strauß an. «Danke für die Blumen. Sie sind wunderschön.»
Joachim Kogler lachte wieder, kurz nur, aber immerhin. «Wenn hier einer danke sagen muss, bin ich das. Das erspart mir drei Kniefälle vor Brenner. Er wird noch bedauern, dass er mir die Unterstützung für das neue Programm gekürzt hat. Jetzt werde ich es auf eigene Rechnung ausarbeiten. Und wenn du mal wieder so einen Tipp hast …»
«Denk ich an dich», unterbrach sie ihn, um ihn loszuwerden.
Er lachte noch einmal. «Das will ich hoffen. Aber jetzt denk an die Zwiebeln, und stell die Blumen ins Wasser.» Er klopfte ihr noch einmal kameradschaftlich auf die Schultern und ging.
Sie schloss die Haustür und betrachtete die Blumen. Ein wundervoller Strauß und genau genommen der erste in ihrem Leben. Der Brautstrauß zählte nicht, war Pflicht gewesen. Und wenn sie sich recht erinnerte, hatte Dieter ihn weder bestellt noch bezahlt. Das hatte ihr Vater erledigt. Sie kannte sich bereits so gut aus, dass sie auf Anhieb die richtige Vase fand, stellte die Blumen ins Wasser und kümmerte sich umihre Mahlzeit. Zwiebeln waren im Vorratskeller, nach Knoblauch suchte sie vergebens.
Zwanzig Minuten später saß sie am Küchentisch. Das elegante Esszimmer hätte sie nicht ertragen. Dort hatte sie nur rasch die Terrassentür geschlossen. Hinter ihr auf der Arbeitsfläche stapelte sich Küchengerät rund ums Handy. Auch das Glas stand noch da. Aromatischer Duft erfüllte den Raum, das Arrangement auf dem Teller sah köstlich aus. Einem ausgeglichenen Menschen hätte es vermutlich ebenso geschmeckt. Sie stocherte darin herum, wurde die blutigen Bilder nicht los, fürchtete sich vor dem nächsten vergeblichen Versuch am Telefon und wusste nicht, was sie tun sollte. Der Albtraum von Heller fiel ihr ein. Wie er gegrinst und gesagt hatte: «So ’ne Chance kriegt man nur einmal.»
Es war keine Chance, es war lächerlich. Sie lachte auch kurz und ein wenig hysterisch. Susanne Lasko im weißen Palast, mit einem Ehemann, von dem sie nicht einmal genau wusste, womit er so viel Geld verdiente, mit unbekannten Eltern in Genf, Chopin in G Minor im Wohnraum, einem Swimmingpool im Keller und einem Beckmann irgendwo. Und das Einzige, womit sie sich einigermaßen auskannte, war die verfluchte Alarmanlage.
Der Autoverleih fiel ihr
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