Die Luft, die du atmest
darüber hinausgewachsen, vor einfachen Dingen Angst zu haben.
Ann legte den nächsten feuchten Ast in den Kamin. Klein und unstet zischte und knallte das Feuer vor sich hin.
Die Mädchen knabberten Kräcker und spielten Karten, Jacob saß auf Kates Schoß, und Ann fütterte ihn mit dem letzten Gläschen Babynahrung. Sie hatte ein paar Kräcker übrigbehalten, um sie später einzuweichen und einen Brei daraus zu machen. Hoffentlich würde das nicht nötig sein.
«Warum ist Dad noch nicht wieder da?», fragte Maddie.
«Der kommt bestimmt bald», sagte Ann.
«Was soll’s?» Kate klatschte eine Karte auf den Boden. «Er haut ja doch gleich wieder ab.»
Darauf gab es keine Antwort.
Ann wanderte ins Esszimmer. Der Regen hörte überhaupt nicht wieder auf. Gewiss hatte Peter inzwischen einen Laden gefunden, der geöffnet war. Doch was war, wenn nicht? Was sollten sie dann machen? Sie betrachtete die Kinder. Jacob hielt eine Karte fest und wedelte damit in der Luft herum. Maddie kicherte.
Im Haus wurde es kühl. Sie hätte gedacht, dass die Heizungswärme länger vorhielte, aber sie verflüchtigte sich genau so schnell, wie sie vorhin gekommen war.
Die Mädchen machten sich bettfertig. Das Haus wirkte leer ohne Peter und Shazia. Ann zog die sauberen Schlafsäcke zu und sagte den beiden gute Nacht. Sie hatten Jacob in die Mitte genommen, der sich auf seinem Deckenlager ausstreckte und seufzte. Sie hatte ihn dick eingemummelt und ihm Söckchen über die kleinen Hände gezogen, damit sie warm blieben.
Beim Aufstehen sah sie auf ihre Armbanduhr. Es war zehn vor elf, viel später, als sie gedacht hätte. Sie blies die kleine Flamme aus, und das Zimmer wurde dunkel.
Peter, wo bist du? Ist dir auch nichts passiert?
Vielleicht war ihm das Benzin ausgegangen. Er hatte keine Möglichkeit, ihr Bescheid zu geben. Und was war, wenn er einen Unfall gehabt hatte? Bei dem Gedanken wurde ihr angst und bange.
Sie ging zum Telefon und nahm den Hörer von der Gabel. Nichts.
Endlich wurde der Regen weniger. Schließlich hörte er ganz auf. Sie nahm die Decke vom Sofa und legte sie sich um die Schultern. Sie ging von Fenster zu Fenster, immer hin und her. Was hielt ihn nur so lange auf?
Jacob wimmerte, und sie ging nach ihm sehen. Er war nass. Vorsichtig zog sie ihm die Windel aus und bemühte sich dabei, die Mädchen nicht zu wecken. Auch Jacob schlief einfach weiter. Ann nahm die letzte Windel aus der Packung und legte sie unter ihn, schloss die Enden und deckte ihn wieder zu. Hoffentlich hatte Peter daran gedacht, welche zu kaufen. Als ihre Kinder klein waren, hatten sie von jedem Einkauf Windeln mitgebracht. Vielleicht hatte er sich unwillkürlich daran erinnert. Und wenn nicht, konnten sie sich erst mal welche basteln, aus Waschlappen und Sicherheitsnadeln.
Sie konnte unmöglich schlafen gehen. Sie musste sich beschäftigen. Der Staubsauger stand noch mitten im Schlafzimmer.Sie konnte Handtücher weglegen, Jalousien zuziehen. Sie ging nach oben, ohne eine Taschenlampe oder Kerze mitzunehmen. Sich im Dunkeln zurechtzufinden fiel ihr schon lange nicht mehr schwer. Es war erstaunlich, wie viel sie mittlerweile bei Mondlicht sehen konnte. Sie trat ans Schlafzimmerfenster. Zwischen Wolkenfetzen trat der Halbmond hervor. Ihr Blick wanderte zur Straße. Da lief jemand auf dem Bürgersteig. Sie strengte die Augen an. Das Mondlicht wurde schwächer und wieder heller. Es war ein Mann. Er hielt den Kopf gesenkt, aber er sah aus wie Peter. Er hatte Peters Statur und seinen Gang. Aber er konnte es nicht sein. Wo war sein Pick-up? Die Gestalt verschwand um die Hausecke auf der Garagenseite.
Sie eilte ins Esszimmer und guckte aus dem Fenster, um zu sehen, ob der Mann zum Haus kam. Dann hörte sie das Garagentor rumpeln.
Einen Augenblick war sie wie erstarrt vor Schreck. Sie lief in die Küche und ging an die Tür. «Peter?»
«Ja.»
Gott sei Dank. Er war zu Hause. Ihre Finger schlossen sich um den Türknopf. Er ließ sich nicht drehen.
«Halt.» Er sprach leise, aber sein Ton war eindringlich. «Komm nicht hier raus.»
«Was?» Verwirrt hielt sie inne. Es war Peter, und doch war er es nicht. Seine Stimme war irgendwie anders. Tiefer.
«Geh von der Tür weg.»
«Aber warum? Peter, was ist los?»
«Geh weg, Ann.»
«Sag mir erst, was los ist», beharrte sie und rührte sich nicht von der Stelle.
«Mich hat jemand angehustet.»
SIEBENUNDDREISSIG
Stille, die immer qualvoller wurde. Erst nach einem langen Moment flüsterte
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