Die Luft, die du atmest
hatten sie gemeinsam ins Auto geladen, und hinterher hatten sie auf ihre Entdeckung angestoßen.
Irgendwo tickte es leise. Die Uhr. Das Pendel ging hin und her. Sie hatte sie noch nie bewusst gehört. Libbys Haus war immer voller Geräusche gewesen. Lachen, Stimmen, Telefonklingeln, in verschiedenen Zimmern laufende Fernseher, Spielzeug, das dudelte oder piepte.
Sie ging rasch in die Küche und atmete erleichtert aus, als sie sah, dass auch hier niemand war.
Auf dem Fußboden lag eine Flasche Hustensirup, aus der eine orange Flüssigkeit ausgelaufen war. Auf allen Flächen türmte sich Geschirr. Überall lagen zerknüllte Papiertaschentücher. Die Kühlschranktür stand auf, und der Inhalt roch vergammelt.
In den Schränken fand Ann massenweise Babymilch, Babygläschen, zwei Schachteln mit Babykeksen. Erleichtert seufzte sie auf.
Die Speisekammer war gut gefüllt mit Büchsensuppen und -gemüse , Nudeln, Erdnussbutter, Frühstücksflocken, Reis. Ihr kamen die Tränen. Sie packte alles ein, sogar die geöffnete Essigflasche.
Dann zog sie Schubladen auf und nahm sich Babylöffel, Lätzchen, Gel für zahnende Kinder, eine kleine Nagelschere, Becher mit Mundstück, Kerzen, Streichhölzer, zwei große schwarze Taschenlampen und Batterien.
Sie stellte die vollen Taschen an die Haustür und ging erneut durch den Flur. Sie war noch nicht fertig.
Auf der Treppe wurde der Gestank schlimmer. Er drang ihr in Mund und Nase. Sie atmete möglichst flach, um ihm zu entgehen. Sie waren irgendwo hier oben. Die Schlafzimmertür am Ende des Flurs war geschlossen. Ein leises Summen drang heraus. Zitternd blieb sie stehen. Das Geräusch war irgendwie vertraut. Dann wusste sie, was es war. Insekten. Fliegen, die umhersurrten und gegen die Wände stießen. Sie würgte und drehte sich um. Das Zimmer würde sie auf keinen Fall betreten.
In Jacobs Zimmer lagen zerknüllte Decken. Neben dem Schaukelstuhl stand ein Fläschchen auf dem Boden. Aber auch in diesem Zimmer stank es furchtbar. Ihre Augen tränten. Hastig sah sie sich um, fand paketweise Windeln, zerrte Kleidung für Jacob aus den Schubladen. Im Wandschrank stand eine Einkaufstasche mit geerbten Sachen. Prima. Von Libbys Schwester. Ein bisschen größer als das, was Jacob jetzt trug. Sie nahm die Tasche und lief aus dem Zimmer.
Mit knapper Not schaffte sie es zur Toilette. Sie übergab sich und wischte sich dann schluchzend das Gesicht.
Draußen in der Garage war es kalt. Gierig saugte sie die Luft ein. An der Wand standen zwei Kisten mit Wasser, noch original verschweißt. Daneben stand eine angebrochene Kiste, die Flaschen schimmerten geisterhaft durch die zerrissene Plastikfolie. Eine schöne Entdeckung zwar, aber doch weniger, als Ann vermutet hatte. Libby trank keinen Sprudel oder Saft. Aber Ann hatte sie nie ohne ihre Wasserflasche in der Hand gesehen. Vielleicht hatten sie und Smith ihre Vorräte einfach schon fast aufgebraucht.
Ann betrachtete die angebrochene Kiste. An der Garagentür stand eine große rote Kühlbox. Es war die Box, die Libby immer in den Kofferraum gehievt hatte, wenn sie zum Training ihrer Feldhockeymannschaft in die High School fuhr. Sie hatten ein gutes Jahr gehabt, Libby war total begeistert gewesen. Die Mannschaft war unbesiegt geblieben. Libby hatte gehofft, an den nationalen Meisterschaften teilnehmen zu können. Und dann war es mit dem Spielen aus gewesen.
Ann machte den Deckel auf. Reihen von weißen Flaschendeckeln leuchteten ihr entgegen. Sie hatte das stille Wasser gefunden.
Viermal musste sie gehen, bis sie alle Kisten vor dem Haus hatte. Die Schlepperei nahm sie gerne auf sich. So viel Wasser. Ein richtiger Schatz. Sie hatte weit mehr gefunden, als sie gesucht hatte. Eigentlich sollte sie einfach nur dankbar sein. Doch stattdessen hatte sie das Gefühl, dass noch irgendetwas fehlte. Sie ging noch einmal in den Flur. An der Tür zum Wohnzimmer blieb sie stehen. Was hatte sie übersehen?
Ihr Blick fiel auf die silbern gerahmten Fotos auf dem Kaminsims. Das mittlere zeigte Libby und Smith als Hochzeitspaar, wie sie gebückt durch das Spalier aus gekreuzten Hockeyschlägern liefen, die von Libbys Mannschaft hochgehalten wurden. Libby sah in ihrem weißen Kleid so schönund fröhlich aus. Smith strahlte, als könne er sein Glück nicht fassen.
Ann ging durch das Zimmer und nahm das Bild vom Sims. Sie stopfte es in eine Tüte, zwischen die Schlafanzüge und Pullover. Das war es. Das hatte sie mitnehmen wollen.
Sie würde nicht noch
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