Die Luft, die du atmest
hörte draußen Rufe, gefolgt von schrillen Pieptönen, als der Lastwagen rückwärts in die Auffahrt fuhr. Er holperte an Libbys Geländewagen vorbei, der immer noch schräg neben dem Briefkasten stand, und fuhr in einem weiten Kreis auf den Rasen. Die Fahrertür ging auf, und ein dritter Mann erschien, mittelgroß und ebenfalls mit Maske und Overall bekleidet. Er ging nach hinten und öffnete die Türen. An der Haustür regte sich wieder etwas. Ein Mann kam rückwärts heraus. Er trug etwas auf der Schulter. Nach ein paar Schritten kam auch der zweite Mann. Beide hatten Gasmasken vor dem Gesicht. Und jetzt sah sie auch, dass sie etwas transportierten, etwas Langes, das in eine Decke eingerollt war. In die rote Wolldecke, die Smith mitnahm, wenn er zu Libbys Hockeyspielen fuhr. Die Libby immer auf dem Sofa liegen hatte. Die Männer blieben stehen, verlagerten die Last und stapften dann langsam und vorsichtig zum hinteren Ende des Lastwagens. Dann hoben sie das Bündel hoch, weit über ihre Schultern, erstaunlich weit. Ann wandte den Blick ab. Sie hielt es nicht aus.
Jetzt trat der Fahrer hinzu. Er hatte ein Klemmbrett dabei.Die beiden anderen gesellten sich zu ihm. Sie redeten. Der Fahrer nickte und notierte etwas. Er drehte sich um und suchte nach der Hausnummer. Dann schrieb er wieder.
An der Ecke standen die Nguyens auf dem Gehweg. Mr. Nguyen hatte die Arme um seine Frau und seine Schwiegermutter gelegt. Seine Frau weinte. Die Schwiegermutter presste sich einen gelben Schal vors Gesicht.
Die beiden Männer gingen erneut ins Haus und erschienen einen Augenblick darauf wieder. Diesmal hatten sie eine aufgerollte blaue Federdecke zwischen sich. Eine leichtere Last. Die Männer bewegten sich weniger schwerfällig. Sie hievten das Bündel in den Lastwagen, und der Fahrer schloss die Türen. Er ging wieder zum Haus und hantierte dort. Was er dort machte, konnte Ann nicht erkennen. Sie sah nur, wie er ausholte und den Arm in einem Kreis bewegte. Dann stieg er ein und schlug die Tür zu.
Die Nguyens an der Ecke, die Mitchells auf der Veranda, andere Nachbarn unsichtbar hinter ihren Fenstern – das war die einzige Trauerfeier, die Libby und Smith bekommen würden.
Der Lastwagen fuhr rückwärts auf die Straße, wendete und machte sich zum nächsten Haus auf.
Ann legte die Stirn an die Scheibe und kämpfte mit den Tränen. Wie viele Leichen würden sie in dieser kleinen Straße einsammeln? Gab es noch irgendeinen Fleck auf der Welt, wo es nicht so war wie hier?
Die Nachbarn wandten sich ab, gingen wieder in ihre Häuser und zogen sich von den Fenstern zurück. Im Nebenzimmer hörte Ann die Stimmen ihrer Töchter, die sich kabbelten, wie sie Jacob am besten das Kuckuckspielen beibrachten. Kate lachte, und Maddie juchzte triumphierend.
Als sie nach draußen trat, schlug ihr kalte Luft entgegen. Sie ging die Stufen vor dem Haus hinunter und spähte um dieEcke, um zu sehen, was der Mann an Libbys Haustür gemacht hatte, bevor der Lastwagen weitergefahren war.
Dort war mit roter Farbe etwas angepinselt. Sie erkannte einen schnell hingeschmierten Kreis und darin eine Zwei, durchgestrichen. Die Farbe tropfte noch, sie glänzte wie Blut.
Kate hustete.
Ann stockte das Herz. Sie setzte den Teller ab, den sie gerade spülte, und drehte den Wasserhahn zu. Beklommen lief sie zu den Mädchen, die mit dem Baby vor dem Kamin schliefen. Sie kniete sich an ihr Lager. Der Feuerschein flackerte auf ihren Gesichtern. Kate lag mit dem Gesicht auf ihrer Stoffeule. Sie räusperte sich und drehte den Kopf auf die andere Seite. Sie seufzte. Ein paar Augenblicke verstrichen. Alles blieb still.
Falscher Alarm.
Ann kehrte in die Küche zurück.
Die Hintertür ging auf, und Peter kam herein.
Mit klopfendem Herzen blieb sie am Tisch stehen. «Hey.»
«Hey.»
«Wie fühlst du dich?»
«Als hätte jemand auf mich geschossen und nicht getroffen.»
Das Bild passte auf sie alle. Vor Freude, ihn so wohlauf zu sehen, mit Dreitagebart und allem, wurde ihr ganz leicht ums Herz. «Ich habe noch Makkaroni mit Käse für dich. Die Mädchen waren total begeistert, so was Tolles zu essen zu kriegen. Man hätte meinen können, es wäre Filet Mignon. Weißt du noch, wie Kate früher Makada-Käse gesagt hat?» Was plapperte sie nur? Sie legte eine Gabel auf den Teller und wandte sich ihm zu.
Er grinste. «Ja, und Maddie wollte Erbsen und Mais immer nur paarweise essen.»
«Und ich hab mir ernsthaft Sorgen gemacht, dass das erste Anzeichen
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