Die Luft, die du atmest
erlaubt.»
Ann ärgerte sich. Peter hätte sie durchschauen müssen. «Sie haben eben gerade schon eine gemacht. Sie müssen ihre Hausaufgaben abgeben.»
«Was sind schon ein paar Minuten? Es tut ihnen gut, ein bisschen überschüssige Energie zu verbrennen.»
«Sie haben keine überschüssige Energie. Sie müssen um drei ihre Aufgaben abgeben.» Sie schob die Tür auf. «Kate! Maddie!»
Maddie saß in der Mitte des Trampolins, während Kate sie mit großen Sprüngen umkreiste. Beide lachten. Kate hörte auf zu springen. Sie wippte auf der elastischen Oberfläche und grinste Ann fröhlich an. «Noch fünf Minuten?»
Ann konnte sich nicht erinnern, wann sich die beiden Mädchen zuletzt so gut vertragen hatten. Sie konnte sie unmöglich jetzt hereinrufen. Was konnte es schaden, wenn sie die Mail mit ihren Hausaufgaben ein bisschen später abschickte? Sie waren ja ohnehin fast fertig.
«Okay, aber macht eure Mäntel zu, alle beide.» Sie schob die Tür zu und schaute zum Fernseher. Da lief dieselbe Aufnahme, die schon den ganzen Tag gezeigt wurde. Menschen mit Schutzmasken vor Mund und Nase, die vor einer Klinik Schlange standen. Wie viele von ihnen würden positiv sein?
Sie ging zum Kühlschrank. «Hast du etwas Neues gehört?»
«Sie sitzen an der Sequenzierung der Viren.»
Vor ihrem geistigen Auge sah Ann Wissenschaftler in weißen Kitteln, die sich rund um die Uhr über ihre Geräte beugten und nicht einmal Pause machten, um etwas zu essen oder zu schlafen. Recht so. Essen und Schlafen konnten sie später. Die Fälle in Mexiko waren inzwischen bestätigt worden, sie waren eingereist, bevor die Reisebeschränkungen verhängt worden waren. Sie stellte sich vor, wie das Virus heimlich und leise über die Grenze kroch, die sich zwischen ihrem Land und Mexiko erstreckte. Aber Ohio war ziemlich weit von der Grenze entfernt. Vielleicht konnte die Grippe aufgehalten werden, bevor sie sich Columbus näherte. Sie schauderte. «Ich dachte, wir könnten heute Abend Hähnchen essen. Das kann man doch noch essen, oder?»
«Ja, klar doch.» Er fing an, zwischen den Couchpolstern zu graben.
Gut. Es wäre zu schade, es wegzuschmeißen. «Hast du schon mit deinem Bruder geredet?»
«Ich habe ihm eine Mail geschickt, aber ich habe noch nichts wieder gehört.»
Mike war einer, der regelmäßig Kontakt hielt. Auch nach Peters Auszug hatte er den Mädchen weiter Mails geschrieben und ihnen aufgetragen, Ann Grüße auszurichten. «Meinst du, man hat ihm eine gefährliche Aufgabe übertragen?»
«Du kennst Mike. Er weiß nie, wie er eingesetzt wird.»
Ann hatte trotzdem Schwierigkeiten, sich den freundlichen Mike als codeknackenden Spion vorzustellen. Sie fragte sich, wie es wohl Bonni und dem kleinen Mikey ging. Obwohl Mikey gar nicht mehr so klein war. Als er sie das letzte Mal besucht hatte, war er ein langer Teenager gewesen, der Ann auf den Kopf spucken konnte.
«Ich habe neulich deine Mutter angerufen, um ihr zumGeburtstag zu gratulieren», sagte Ann. «Die Mädchen haben auch mit ihr gesprochen.»
Ruth Brooks hatte keine Ahnung gehabt, wer sie waren. ‹Kate?›, hatte sie gefragt. ‹Was für eine Maddie?›
«Das ist nett von euch», sagte Peter.
Ann war sich nicht mehr so sicher, ob das nett war. War es auch nur ansatzweise nett, ihre Schwiegermutter anzurufen und sie merken zu lassen, was sie alles vergaß? War es nicht viel netter, sie den wenigen Erinnerungen zu überlassen, die sie noch hatte? Ann holte eine Dose Würfeltomaten aus der Speisekammer und kramte den Knoblauch hervor.
Als das Telefon klingelte, fuhren sie beide zusammen.
«Aha», sagte Peter. «Jetzt werde ich es endlich finden. Soll ich rangehen?»
Wie schrecklich. Da stand er, mit dem Telefon in der Hand, und bat sie um Erlaubnis ranzugehen. Ihr war diese Förmlichkeit zuwider. Sie erinnerte sie wie so vieles andere permanent daran, wie elend sie gescheitert waren. Sie nickte wortlos.
«Hey», sagte Peter ins Telefon. Er lachte leise.
Offensichtlich jemand, den er kannte. Sie schälte den Knoblauch und drückte ihn durch die Presse.
«Ja, ja, ich weiß.» Peter stand vor der Glastür und sah den Mädchen beim Spielen zu. «Ich hätte auch längst anrufen wollen.»
Seine Stimme klang freundlich, beinahe verschwörerisch. Das war kein Gespräch mit einem Arbeitskollegen. Es musste eine Freundin von ihr sein. Sie wartete mit dem Dosenöffner in der Hand darauf, dass er wieder etwas sagte, damit sie raten konnte, mit wem er sich
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