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Die Luft, die du atmest

Die Luft, die du atmest

Titel: Die Luft, die du atmest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Buckley
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würde sie überragen. Ann gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Schläfe. Unter ihren Lippen pochte der Puls, und die Haut war warm und roch nach Kate. Ann nahm Kates schmale Hand und drückte sie fest. Sie war froh über dieses Thanksgivingfest, so sonderbar eswar. Maddie hatte recht. Es musste nicht alles perfekt sein, um zu feiern. Manchmal reichte es, dass alle zusammen waren.
    Zu dritt standen sie am Fenster, dicht aneinandergeschmiegt, mit einem kleinen Abstand zu Peter und Shazia, und betrachteten das leuchtende Schauspiel auf der anderen Straßenseite.
     
    Die Flasche mit dem Waschmittel war über und über mit glänzenden schwarzen Käfern bedeckt. Sie liefen über ihre Finger. Ann unterdrückte einen Schrei, wischte sie von den Händen und wich schnell zurück. Die Käfer fielen zu Boden und schwärmten durch die Tür des Hauswirtschaftsraums in die anderen Zimmer.
    Plötzlich hielt sie ein Schwert in der Hand. Es war lang und gebogen, mit einem reichverzierten Griff. Sie schwang es durch die Luft. Die Käfer bildeten einen schwarzen Strom, der durch die Küche schoss, zur Treppe, die nach oben führte.
    Peter arbeitete an seinem Laptop. Sie rief im Vorbeilaufen nach ihm. Er blickte nicht auf. Aber dann war er da und stand in der Diele. Er hatte seinen Mantel an und einen Koffer in der Hand. «Ich muss mit Liederman reden», sagte er und knallte die Tür hinter sich zu.
    Jetzt zertrampelte sie die Käfer, ihre Leiber knackten unter ihren Sohlen. Aber wenn sie ihre Füße anhob, flitzten die Käfer unversehrt weiter. Sie krabbelten über ihre Zehen. Sie strömten zu ihren Knöcheln, fluteten um ihre Knie. Sie watete in Käfern. Sie griff nach dem Geländer und schleppte sich die Treppe hinauf, unter ihr ein See aus kleinen, hartnäckigen Insekten. Sie schwärmten über ihre Schultern, ihren Hals nach oben. Sie verstopften ihren Mund und drückten gegen ihre Augenlider.
    Ann riss die Augen auf. Alles war schwarz, sie lag im Bett.Sie stützte sich auf, um nach dem Wecker auf dem Nachtschrank zu sehen. Halb vier. Früher als sonst.
    Maddie hatte wieder das Deckenlicht in ihrem Zimmer angelassen. Würde sie je aufhören, Angst vor der Dunkelheit zu haben? Die Laken waren zwischen ihren Beinen verdreht, und ein Arm lag quer über ihrem Gesicht. Ann ging hinein, um das Licht auszumachen und ihre Tochter wieder zuzudecken. Maddie regte sich nicht, so sehr war sie in ihren Träumen versunken. Wie viele Nächte hatte Ann an ihrem Babybett gestanden und über ihren Schlaf gewacht?
    Weiter hinten im Flur stand die Tür zu Kates Zimmer offen. Ann blieb stehen und hörte, wie sie sich im Schlaf umdrehte. Beruhigt ging sie weiter.
    Im Gästezimmer herrschte Stille. Die Tür war fest verschlossen, kein Licht drang nach draußen. Shazia musste endlich eingeschlafen sein. Ann hatte sie vorhin weinen hören. Sie war aufgestanden, aber als sie im Flur gestanden hatte, waren die gedämpften Geräusche verstummt. Shazia musste sich schreckliche Sorgen machen, während sie hier bei ihnen festsaß, so weit weg von ihrer eigenen Familie. Sie hatte nur das eine Mal von ihrer Cousine gehört. Ihre Eltern waren immer noch nicht zu erreichen. Nun lag sie in diesem fremden Haus in der Dunkelheit.
    Mondlicht folgte ihr die Treppe hinunter, verschwand, als sie am Esszimmer vorbeiging, und leuchtete wieder, als sie in die Küche trat. Sie setzte Wasser auf und ging ins Wohnzimmer. Dort auf dem Sofa kuschelte sie sich in die Wolldecke und griff nach der Fernbedienung für den Fernseher. Sie stellte den Ton leise. Ein Mann stand im Wind, mit ernster Miene. Wieder schlechte Nachrichten.
    Auf dem nächsten Kanal lief dieselbe Sendung. Ebenso auf dem Heim-und-Garten-Kanal und allen Spielfilmsendern.Wo wurden die alten Schwarzweißshows gezeigt? Die sah sie gern. Sie hatte sie früher angestellt, wenn sie die Kinder nachts stillte und in den Schlaf wiegte. Nein, auch dort liefen die gleichen Bilder wie überall. Vor grellem Hintergrund sprach ein Sprecher mit abgehackten Bewegungen ins Mikrophon und trat beiseite, damit die Kamera über die Stahlkonstruktion schwenken konnte, die aus dem Meer ragte. Dann wechselte sie zu einem Mann, der in einen ganzen Wald von Mikrophonen sprach. Selbst auf dem Kindersender lief der Beitrag.
    Eine Stufe knarrte. Sie sah sich um. Es war Peter.
    «Habe ich also doch richtig gehört», sagte er.
    Er trug sein zerschlissenes Uni-Sweatshirt und die alte Jogginghose. Ob er jetzt immer in diesen Sachen schlief?

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