Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Luft, die du atmest

Die Luft, die du atmest

Titel: Die Luft, die du atmest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Buckley
Vom Netzwerk:
will?»
    «Kein Problem.» Er lächelte.
    Sie erwiderte sein Lächeln, sah mit einem verträumten Ausdruck in den Augen weg.
    Er sah sie an. «Ann», sagte er zärtlich.
    Sie wandte ihm den Blick zu.
    «Es wird nicht mehr lange so schlimm zugehen.» Er sagte nichts von der zweiten Todeswelle, die auf diese folgen würde, oder von der dritten. Davon wusste sie ohnehin.
    Sie musterte ihn lange. Schließlich nickte sie und nahm das Einzige an, was er im Moment zu bieten hatte. Hoffnung.

ZWANZIG
    Ann erhaschte im Spiegel einen Blick auf sich, als sie das Handtuch von der Stange im Bad zog, und bekam einen Schreck. Seit wann war sie so blass, mit so spitzen Wangenknochen und tief eingesunkenen Augen? Sie hatte abgenommen. Sie hatten alle abgenommen. Peters Hosen waren so weit, dass er jetzt immer einen Gürtel trug, und die Mädchen   … Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken loszuwerden. Nein. Sie ertrug es nicht, über die Mädchen nachzudenken.
    Im Hauswirtschaftsraum drehte sie den Hahn auf und spritzte Spülmittel ins Becken. Sie vermischte es mit der Hand, aber das Wasser war zu kalt. Zögernd bildeten sich Blasen und platzten, sobald sie Socken und Unterhosen hineinsteckte.
    Ihre Lebensmittelvorräte waren bedrohlich geschrumpft. Alles Frische war längst aufgebraucht, jetzt vertilgten sie die stetig schwindenden Reste an Tiefkühlkost und Konserven. Sie machte sich Sorgen, dass die Mädchen nicht genug Kalzium bekamen. Milch und Joghurt hatten sie zuerst aufgegessen, übrig war nur noch ein einziges Stück Schweizer Käse, den die Mädchen überhaupt nicht mochten. Es war Zeit, ihre Vitaminpräparate hervorzukramen, um Mangelerscheinungen vorzubeugen, bis Peter oder sie irgendwo einkaufen gehen konnten. Sie konnten nicht ewig hier drinbleiben. Quarantäne hin oder her, irgendwann würden sie sich hinauswagen müssen.
    Immerhin hatten sie noch Mehl und Zucker und Gewürze. Heute wollte sie versuchen, über dem Kaminfeuer Brötchen zu backen, möglichst, ohne sie anbrennen oder steinhart werden zu lassen. Es war alles furchtbar mühselig. Ihre ganze Energie schien dafür draufzugehen, die Minimalversorgung zu sichern: Essen, Wärme, ein Dach über dem Kopf. Sie staunte, wie man früher eigentlich noch Zeit gefunden hatte, Kleidung zu nähen, Möbel zu bauen, sich um das Vieh zu kümmern.
    Peter kam pfeifend zur Hintertür herein und stapfte laut auf, um den Schnee von seinen Stiefeln zu schütteln. An einer Seite standen seine Haare in die Höhe, und am Kinn hatte er beim Rasieren eine Stelle vergessen. Seine Augen leuchteten strahlend blau, seine Wangen waren gerötet. Er brachte den Geruch nach kalter Luft und Frost mit herein. Er war mal wieder auf einer seiner geheimen Missionen gewesen. Es hatte ihr nichts ausgemacht, dass er sie nicht eingeladen hatte mitzukommen, weil sie spürte, dass er auch mal allein sein musste. Ihr ging es genauso. Manchmal zog sie sich nach oben in den großen Einbauschrank in ihrem Schlafzimmer zurück, hüllte sich in eine Decke und legte den Kopf auf die angewinkelten Knie. Dann saß sie frierend im Dunkeln und atmete in tiefen, langen Zügen ein und aus, bis die Angst in ihrem Innern so leise wurde, dass sie sich traute, wieder zu den Mädchen zu gehen.
    «Die Post ist nicht gekommen», sagte sie zu ihm. «Und die Zeitung auch nicht.»
    Sie hatten nur noch das Telefon und das Radio im Pick-up, in dem neuerdings weit mehr Musik als Nachrichten kamen.
    «Und was noch viel schlimmer ist», sagte er, «der Müll nimmt allmählich überhand.»
    «Ich weiß.» Ann wrang ein Paar Socken aus. Alle schleppten ihren Müll an den Straßenrand und ließen ihn dort einfachliegen. Er türmte sich in Ascheimern und steifgefrorenen Tüten.
    «Wenn es taut, wird das ganze Zeug vergammeln, und dann kommt das Ungeziefer.» Er lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme. «Klein und groß.»
    Sie sah ihn scharf an. «Hier gibt es keine Ratten.»
    «Das ist kein Scherz, Ann. Wenn keine Ratten kommen, dann andere wilde Tiere.»
    «Und wenn schon. Dann machen wir eben ein Wildgehege auf. Vielleicht können wir Eintritt nehmen.» Sie wrang eine von Maddies Unterhosen aus und hängte sie über den Wäschekorb. «Würdest du Kate bitten, mir ihre Sachen zu bringen?»
    «Klar.» Er ging nach nebenan.
    Ann tunkte Maddies Nachthemd und einen ihrer Rollkragenpullover ins Wasser. Es färbte sich braun. Das lag an dem vielen Rauch vom Kamin. Er legte sich auf ihre Haut, auf ihre Schleimhäute

Weitere Kostenlose Bücher