Die Luft, die du atmest
Jahren um das Dreifache gewachsen und hatte sich in ihrer Ecke ordentlich breitgemacht. In einer Astgabel hing ein Nest aus dürrem Reisig. Peter fragte sich, ob die Vögel, die es gebaut hatten, zurückkehren würden, ob sie ihre Reise nach Süden heil überstanden hatten.
Aus einem Schornstein auf der anderen Straßenseite stieg Rauch auf.
Er wandte sich wieder dem Grill zu. Noch stieg kein Dampf aus der Tülle auf.
Irgendwo in der Nähe schnaufte ein Tier. Es war ein Hund, der sich langsam einen Weg auf ihn zu bahnte. Finns Hund. Er blieb stehen und scharrte mit einer Pfote im Schnee. Peter ging in die Hocke. «Hallo», sagte er. «Hey, Barney.»
Der Hund hob den Kopf. Seine Augen waren trübe. Aus seinem stumpfen Fell traten deutlich die Rippen hervor. Wo war Finn? Was dachte er sich nur dabei, seinen Hund frei herumlaufen zu lassen? Peter hatte die beiden noch nie ohne einander gesehen. Waren Finn die Lebensmittel ausgegangen, und er hatte seinen Hund freigelassen, damit er sich selbst versorgte? Nein. Noch vor zehn Tagen hatte der Mann eine ganze Küche voller Vorräte gehabt. Er konnte sich höchstens entschlossen haben, zu einem Freund oder Bekannten zu ziehen, wo für den Hund kein Platz war. Es war kaum vorstellbar, dass er seinen Hund verließ, um sich selbst zu retten, aber vielleicht hatte er keine andere Möglichkeit gesehen. Oder er war krank geworden. Da hatte er den ganzen Keller voll elektronischem Spielzeug und sein Gewehr ständig im Anschlag. Und was nützte es ihm? Sein Vater hatte recht gehabt: Wie man sich bettet, so liegt man.
Der Hund senkte lauernd den Kopf.
«Komm her, Junge.»
Er hatte Hunger. Er war so dünn geworden, dass man unterdem schmutzigen Fell die Rippen zählen konnte. Peter klopfte auf seine Manteltasche und holte einen halben Müsliriegel heraus. Maddie hatte ihn nicht mehr gewollt und ihm gegeben. Er machte das Papier ab und streckte die Hand aus. Er wollte, dass der Hund näher kam, damit er ihn sich besser anschauen konnte. Wenn er so alleine draußen herumlief, war er von allen möglichen Gefahren bedroht – Ansteckung, Unterkühlung, Austrocknung. Peter hielt ihm den Müsliriegel hin. «Na, komm.»
Der Hund kniff die Augen zusammen, wich einen Schritt zurück und knurrte.
Er war misstrauisch, überhaupt nicht mehr zugänglich. Was konnte ihn so verändert haben?
Auf dem Grill begann der Kessel zu zischen.
Der Hund würde weiter herumschnüffeln, wenn er weg war, dachte Peter. Er ließ den Müsliriegel auf eine plattgetrampelte Fläche fallen und kehrte zum Grill zurück, um die Flamme auszudrehen. Als er den Kessel nahm, schwappte das heiße Wasser laut gegen das Metall.
Ann hatte die Glaskanne bereits auf der Küchentheke stehen und den Filter schon mit Kaffeepulver gefüllt. Er goss den Filter voll, das Pulver quoll auf und schlug Blasen, dann nahm er den Deckel von der Teekanne für Shazia, in die Ann ebenfalls schon Teeblätter gegeben hatte, füllte auch diese und gab schließlich in jede der aufgereihten Schüsseln mit Schmelzflocken eine sorgfältig bemessene Ration.
Ann schloss die Augen. «So muss es im Himmel riechen.»
Sie trug eine Wollmütze und dicke Wollhandschuhe. Ihr Haar wellte sich ums Gesicht, die glatte Fönfrisur war hin. Wann hatte sie aufgehört, Lippenstift aufzulegen und sich die Wimpern zu tuschen? Wahrscheinlich schon vor Wochen, under merkte es jetzt erst. Er hatte sie so wie jetzt immer lieber gemocht – die Sanftheit ihrer klugen Augen, die zarte Farbe ihres Mundes. «Ich dachte immer, der würde für dich nach neuen Büchern riechen.»
«Das tut er auch.»
Sie redeten leise, um Shazia und die Mädchen nicht zu wecken, die nebenan schliefen. «Und nach Magnolien.»
«Peter. Im Himmel riecht eben jeder Raum anders.» Sie stemmte die Hände in die Hüften. «So.»
Eine perfekte Nachahmung von Kate. Er grinste, hob den Kessel und schenkte Wasser nach. «Das war das letzte Propangas.»
«Kein Kaffee mehr?» Ihr Gesicht war entsetzt.
«Wir können ihn im Kamin machen.»
Sie schüttelte den Kopf. Er wusste, dass sie an die schwindenden Holzvorräte dachte. Sie sparten es für die Abende auf, wenn die Kälte unerträglich wurde. Sie sah ihn kläglich an. «Ich werd’s schon aushalten. Bald muss es doch wieder Strom geben.»
Das sagten sie sich Tag für Tag. Inzwischen waren es 13 Tage. Peter begann allmählich, das Schlimmste zu befürchten – dass die Stromversorgung überhaupt nicht wieder in Gang kommen würde. Dass
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