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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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Interesse am Beobachten von Vögeln hast.«
    Er besaß beides immer noch. Der Feldstecher blieb sein Lieblingsfernglas, und irgendwann hörte Addie auf, die Augen zu verdrehen und zu lachen, weil er es den vielen leichteren und weit leistungsstärkeren vorzog, die er über die Jahre angesammelt hatte.
    Als seine Lehrerin für die nächsten zwei Jahre, und danach als seine gute Freundin, war es Schwester Catherine, die Toms Begabung für Mathematik und Naturwissenschaften förderte. Diese Gabe war es, wie sie ihm zu erkennen half, die ihn durch ein Stipendium der Queen’s University aus dem Schicksal seiner älteren Brüder und Schwester freikaufen konnte – alle talentierte Musiker, aber alle gefangen im Leben als Land- und Fabrikarbeiter im Norden Irlands.
    Er lernte Polly kennen, während er an der Queen’s studierte. Beide hatten sich einer kleinen Gruppe von Musikern angeschlossen, die regelmäßig in einem bei Studenten und jungen
Bürogehilfinnen wie Polly beliebten Pub spielte. Sie war ein »feuriger irischer Rotschopf«, in den Worten von Toms Tutor an der Cornell University in Ithaca, New York, wo sie frisch verheiratet im Herbst 1955 eintrafen, damit Tom dort seine Promotionsstelle antreten konnte.
    Als er ihr das erzählte, verdrehte Polly die Augen und wandte dann den Kopf ab, errötend und, wie er wusste, erfreut, so gesehen zu werden. Denn sie war tatsächlich ein feuriger Rotschopf, eine umwerfende junge Frau und eine wundervolle Sängerin. Und in keiner Weise zur Gattin eines Wissenschaftlers, ganz besonders nicht eines Ornithologen geeignet, der »ewig im Wald versauert«, wie sie es formulierte und, wenn sie in eine ihrer düsteren Launen geriet, noch ergänzte: »Da hätte ich ja gleich in Belfast bleiben können.« Wobei diese Launen in Ithaca seltener waren, wo sie in einer anderen Gruppe sang und rasch eine Anhängerschaft vor Ort gewann.
    Um Pollys willen brachte er das, wie er es in seinen jüngeren Jahren sah, entscheidende Opfer seiner Karriere – er nahm einen Posten am winzigen, unscheinbaren Burnham College im südöstlichen Pennsylvania an, statt der weit renommierteren Forschungsstelle, die ihm an der University of Illinois angeboten worden war. Was um alles in der Welt sollte sie mitten im Nirgendwo an einem unbekannten Ort namens Champaign, Illinois, anfangen?, hatte Polly gefragt, fassungslos, dass er nach fünf endlosen Jahren im klitzekleinen Ithaca auch nur in Betracht ziehen konnte, eine Arbeit in einigermaßen vernünftiger Nähe zu Städten wie Philadelphia und New York abzulehnen.
    Toms Tutor schüttelte nur den Kopf und murmelte etwas über den feurigen Rotschopf und dass Tom wenigstens im Schlafzimmer zufrieden wäre.
    Was er auch war, eine Zeitlang. Ihre ersten beiden Jahre in
Burnham verliefen relativ ruhig. Polly fand einen Gesangslehrer in Philadelphia, der sie davon überzeugte, dass sie mit der richtigen Ausbildung (was mehrere Sitzungen pro Woche mit ihm bedeutete) eine Zukunft als Opernsängerin hätte. Und Tom begriff ziemlich schnell (vielleicht, gestand er sich manchmal selbst ein, hatte er das schon immer gewusst), dass eine Stelle an einem kleinen College wie Burnham ihm gestattete, die beiden Dinge zu tun, die er am meisten liebte: unterrichten und seine ganz eigenen, speziellen Studien über den Gesang von Vögeln zu betreiben. Beides Beschäftigungen, die, wie er durch seine Erfahrungen in Cornell wusste, niemals als ernsthaft oder wissenschaftlich genug betrachtet würden, um ihm eine langfristige Laufbahn an einer Universität wie Illinois einzubringen.
    Und so drängte langsam aber sicher seine Arbeit als Lehrer und, in den Augen traditioneller Ornithologen, als abtrünniger Forscher alles andere in den Hintergrund.
    Außerdem entwickelte er eine ausgeprägte Abneigung gegen die Oper und gegen New York City, was er beides, als er und Polly noch jünger und gerade erst in den USA angekommen waren, noch recht gern gemocht hatte.
    Und Polly trank im Laufe der Jahre immer mehr. Ihr erster Gesangslehrer zog von Philadelphia nach New York, und ihre »Karriere« als klassische Sängerin gedieh nicht nach ihren Vorstellungen – vereitelt, dessen war sie sicher, durch Toms Weigerung, eine Wohnung in New York zu mieten, wo sie, wie sie sagte, unter der Woche leben und er die Wochenenden bei ihr verbringen könnte. Wie, fragte er wiederholt zurück, sollte er seine Forschung betreiben, ganz zu schweigen davon, sein Buch zu beenden, wenn er an den Wochenenden und

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