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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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während der Semesterferien keine Zeit hatte, freie Zeit von der anstrengenden Arbeit des Unterrichtens, um ins Feld zu gehen?

    Ihr Abschiedssatz, nachdem sie an diesem Tag eine größere Tasche als normal für die Fahrt nach Philadelphia gepackt hatte, hatte ihn sprachlos gemacht. »Du bist ja nicht mal Manns genug, mir ein Kind zu machen«, zischte sie ihn mit blitzenden Augen an, während die wilden Locken um ihr Gesicht tanzten.
    Er starrte sie unverwandt an, ihren schönen Körper in dem Rock und dem engen roten Pullover, ihre perfekte Haut, die nun vor Zorn gerötet war. Und einen verwirrten Moment lang empfand er eine übermächtige Woge der Sehnsucht nach ihr. »Ich hatte keine Ahnung, dass du überhaupt ein Kind wolltest«, hätte er sagen können. Sie hatte immer den Eindruck gemacht, viel zu sehr von ihrem Gesang in Anspruch genommen zu sein, um eine Familie zu gründen.
    Stattdessen antwortete er: »Und du taugst nicht zu einer Mutter.« Er sagte es leise zu ihrem Rücken, die Stimme ein wütendes Knurren, als sie durch die Tür ging. Er erfuhr nie, ob sie ihn gehört hatte.
    Und so fand er sich paradoxerweise in seinem dritten Jahr am kleinen Burnham College in zunehmendem Maße begeistert von seiner Arbeit. Und regelmäßig allein im Schlafzimmer.
    Bis zum Frühling 1965 – einem Frühling, der von sintflutartigen Regenfällen und heftigen Stürmen eingeleitet und dann Anfang Mai von zweieinhalb Wochen andauernden frischen, kristallklaren Tagesanbrüchen sowie dem ergiebigsten Zug von Singvögeln gefolgt wurde, den Tom bis dahin im Nordosten der Vereinigten Staaten erlebt hatte. Geprägt vom morgendlichen Lied der Walddrosseln hoch oben, die in mindestens drei der majestätischen alten Bäume des College nisteten. Und von der Ankunft Addie Sturmers in seinem Leben, die herantoste wie der in diesem Frühjahr beinahe über seine
Ufer tretende Nisky Creek oder wie der schwindelerregende Sturzflug einer Sumpfschwalbe, und die eine Zukunft mit sich brachte, die erfüllt war von mehr Glück und Erfolg und Kummer, als er sich jemals hätte ausmalen können.
    Ganz sicher mehr, als er noch erwartete, als er an einem kalten und klammen Aprilmorgen aufwachte und feststellte, dass Polly wieder einmal am Vorabend nicht vom sogenannten Gesangsunterricht bei ihrem neuen Lehrer in Philadelphia zurückgekehrt war – einem weiteren jungen Mann, dessen Ambitionen auf New York gerichtet waren. Und als Tom, während er ein Streichholz anriss, um den Herd anzuzünden und sich eine Tasse Tee zu kochen, sich endlich eingestand, dass seine Ehe vorbei war.
    Addies Unschuld, in Verbindung mit einer Leidenschaft, die seiner eigenen gleichkam oder sie vielleicht sogar noch übertraf, überwältigte ihn. Clive Behrend höchstpersönlich hatte sie in sein Atelier eingeladen! Und sie hatte keine Ahnung, was das bedeutete, fragte ihn in ihrem Feldtagebuch, ob er schon einmal von ihm gehört habe, von einem der besten Vogelmaler ihrer Zeit.
    Der außerdem der Illustrator des ersten Bestimmungsbuchs war, das Tom selbst je besessen hatte, dem zierlichen kleinen Büchlein aus den Zwanzigerjahren von Schwester Catherine. Später hatte ihm seine ehemalige Lehrerin zudem im Geheimen einen Zoologietext aus ihrer Studienzeit in England geschenkt: Toms erste Begegnung mit Darwin, sein erster Blick auf eine größere Welt. Eine Welt, die Schwester Catherine ohne Bedauern hinter sich gelassen hatte, sagte sie, aus ganz persönlichen Gründen – aber eine, die Tom kennenlernen und die für sich selbst zu suchen er sich überlegen sollte.
    Über die Jahre hatte er treu mit Schwester Catherine Briefkontakt
gehalten, und auf jener ersten Heimreise nach Irland mit Addie im Jahr nach ihrer Hochzeit besuchte er sie in Falcarragh. Er glaubte sogar zu erkennen, dass sie seine neue Braut billigte (wenn das stimmte, war sie mit Sicherheit der einzige Mensch in Irland, der billigte, dass er eine Ehe annulliert und sich nun eine zweite – und auch noch protestantische – Frau genommen hatte). Falls Schwester Catherine es allerdings nicht guthieß, ließ sie sich nichts anmerken. Sie war vielmehr freundlich und warmherzig und bewunderte Addies Zeichnungen aus den Wochen im Lake District und später an der Küste Donegals.
    Tom und Addie pilgerten zu beider ehemaligen Mentorinnen auf dieser Reise. Miss Smallwood war immer noch ganz vernarrt in Addie, doch ihre Reaktion auf Tom war, gelinde gesagt, kühl. Die spitznasige, in Wolle und Tweed gehüllte Frau

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