Die Luft, die uns traegt
Liebe für sie? Das ist mein eigenes Emporsteigen an ihrer Seite, ungestüm mit ihr verwoben in nimmermüdem Flug.
Macht das die Sache verständlicher?
Natürlich konnte und wollte er bei Dan nicht zu solch lyrischen Ergüssen greifen. Obwohl sie mehrmals über die Gedichte von William Carlos Williams und Wallace Stevens diskutiert hatten. Und obwohl, davon war Tom überzeugt, Naturwissenschaftler Metaphern deutlich leichter begreifen konnten als viele andere. Toms Ansicht nach waren die Naturwissenschaftler sogar die letzten großen Romantiker, die einzig noch übrigen wahren Optimisten in einer zunehmend von Angst und Zweifeln und Zynismus bestimmten Welt, was erstaunlicherweise sämtlich Leuten wie Charles Darwin in die Schuhe geschoben worden war.
»Wir leben in schwierigen Zeiten, Tom«, hörte er nun den Dekan sagen. »Unser Land befindet sich im Krieg, unsere Studenten sehen sich so vielen Unwägbarkeiten gegenüber…«
Ja! , wollte er schreien. Ja – genau. Darum genau geht es doch, und jetzt kann ich ihnen sagen, und zwar aufrichtig sagen, dass es Dinge von Wert gibt, selbst hier, selbst in einer Welt, die vor Angst halb verrückt und getrieben von Gier ist und die sich einer möglichen Umweltkatastrophe gegenübersieht …
»Der Rektor ist besorgt, er steht von allen Seiten schwer unter Druck, wie du dir vorstellen kannst, wegen möglicher Studentenunruhen und dergleichen. Man macht sich Gedanken darüber, was einige Angehörige der Fakultät – und du im Besonderen, Tom – inner- und außerhalb der Hörsäle so treiben, um die Studenten aufzuwiegeln.«
An dieser Stelle räusperte sich der Dekan erneut – ein Zeichen, wie Tom immer geglaubt hatte, für sein Unbehagen diesen Aspekt seines Postens betreffend. »Man sorgt sich auch«, fuhr er fort, »um den Verfall moralischer Standards … Vielleicht ahnst du schon, worauf ich hinauswill …«
Aber worauf in Gottes Namen wollte er hinaus? »Verfall moralischer Standards«? All dieses körperlose »Man macht sich Gedanken« … Tom hasste diese Art von Sprache, das hohle, gesichtslose Kauderwelsch von Bürokraten, ob nun akademisch oder staatlich oder sonst etwas. Das Traurige war, dass sein alter Freund Dan trotz seiner pflichtbewussten Artikulierung dieser Worte doch sicherlich genauso deutlich wie Tom die Gefahren des Schweigens erkennen konnte, des nicht »Aufwiegelns« der Studenten.
Er wusste, was er sagen wollte. Es war eigentlich ganz einfach. Es war dasselbe, was er in den vergangenen Jahren in jedem Kurs seinen Studenten zu vermitteln versucht hatte. Selbst hier – selbst inmitten all dieser Schrecken – kann es das geben: die Gelegenheit, zu lehren und zu lernen. Arbeit zu tun, die man liebt. Und es kann wahre Leidenschaft geben – wahre, schnörkellose Liebe und Leidenschaft zwischen zwei Menschen.
Gewiss konnte er das zu Dan sagen, dachte er, seinem Freund seit inzwischen sieben Jahren, jemandem, der ihn verstand, der seine Arbeit wertschätzte und in so vielerlei Hinsicht die gleichen Ansichten über die Welt hatte.
Bevor er jedoch ansetzen konnte, sprach Dan weiter. »Und deshalb möchten wir dir vorschlagen, dass du dich nächstes Jahr beurlauben lässt, dir ein Forschungsjahr nimmst, natürlich zum Teil bezahlt, obwohl du die offiziellen Kanäle noch nicht durchlaufen hast. Du weißt schon, gönn dir einfach mal eine Auszeit von Burnham, lass Gras über die Sache wachsen. Warum suchst du dir nicht ein Projekt in Cornell, nimmst Addie mit nach Ithaca … wenn ihr erst verheiratet seid?«
Tom war sprachlos. Angestrengt versuchte er, seine Gedankengänge zu bremsen – er rang immer noch mit der Aufgabe, seine Gefühle für Addie, seine beruflichen Überzeugungen zu beschreiben – und gänzlich aufzunehmen, was der Dekan ihm gerade mitgeteilt hatte.
Ganz allmählich drangen die letzten Worte zu ihm durch. Ein Jahr Beurlaubung. Eine Auszeit von Burnham. Er wusste, was das war: ein stiller Tadel als Geschenk verkleidet, vielleicht sogar eine Art Bestechung, die einherging mit der unausgesprochenen Annahme, dass er im Jahr darauf »erholt« zurückkehren würde, belebt durch ein Jahr Forschung. Und ruhiger.
Die meisten Menschen in seiner Position würden, das wusste Tom, diese Chance bereitwillig ergreifen. Die meisten Menschen wären dankbar. Vielleicht hätte er es auch sein sollen. Aber so fühlte er sich nicht. Eher betrogen. Beraubt. Einer Möglichkeit beraubt, genau, einer Möglichkeit, seinen Studenten in einer Welt,
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