Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
Vom Netzwerk:
die mit jedem Tag wahnsinniger wurde, eine andere Lebensweise zu zeigen. Einen Weg, den eigenen Leidenschaften zu folgen, anstatt sie zu unterdrücken.
    Addie dagegen war begeistert, als sie die Neuigkeiten erfuhr.
    »Wir können nach England fahren!«, rief sie. »Du kannst mich mit nach Irland nehmen, um deine Familie kennenzulernen !«

    Aber, sagte Tom, er forsche über amerikanische Singvögel – und speziell Singvögel, die durch speziell diese Gegend im südöstlichen Pennsylvania zögen. Und selbst wenn er hoffte, diese Arbeit auf lange Sicht auch auf andere Regionen der Vereinigten Staaten auszudehnen, was um Himmels willen sollte er in England und Irland?
    »Schreiben«, lautete Addies Antwort. »Bring das Ding zu Ende.« Er habe doch, redete Addie ihm zu, jetzt schon weit mehr Notizen, als er für ein Buch brauche. Doch trotzdem hatte Tom weiterhin gezögert, weil er fürchtete, dass ihm das Eine – das perfekte Beispiel, der perfekte Moment im Feld – noch fehlte, das alle seine Ideen zusammenführen könnte.
    Es war tatsächlich Addie, der Toms einziges Buch zu verdanken war. »Es wird Zeit, den nächsten Schritt zu machen, findest du nicht?«, fragte sie ihn an jenem Nachmittag nach seinem Gespräch mit dem Dekan sanft. Tom war leise ins Wohnzimmer des Cottage getreten, wo sie mit dem Rücken zur Tür am Holzofen saß und malte. Sie hatte ihn nicht hereinkommen hören, und eine Zeitlang stand er einfach nur da und beobachtete sie, wie sie plötzlich aufstand, angestrengt auf die Leinwand starrte, das Gesicht nur Zentimeter vom Bild entfernt, und sich dann wieder auf ihren Hocker setzte und eine geringfügige Korrektur mit ihrem winzigen Pinsel vornahm. Sie arbeitete an einem Trio Schwarzkopfmeisen, die ausgelassen auf mehreren Ästen eines Holzapfelbaums schaukelten. Die Vögel waren so lebensecht, dass er sich einbildete, sie hören zu können – di-di-di-di –, und er dachte in diesem Augenblick: Was zählt, ist das hier, diese stille, unschätzbare Arbeit. Obwohl es ihm sehr schwer fiel, räusperte er sich, um sie zu unterbrechen und ihr seine Neuigkeiten mitzuteilen.
    »Wir arbeiten zusammen daran«, sagte sie. »An einem anderen Ort geht es sicher leichter, meinst du nicht? Ohne die
ganzen Ablenkungen, die du hier hast? Und in der Zwischenzeit kann ich an neuen Spezies arbeiten – Vögel, die ich hier niemals zeichnen könnte.«
    In diesem Moment wusste er, dass er, egal, was im kommenden Jahr oder den Jahren danach passieren würde, zumindest eine vollkommen richtige Entscheidung getroffen hatte: mit ihr zusammen zu sein. Und wie bei seinen anderen Überzeugungen – der Bedeutung von Arbeit, die einen erfüllte, den erlösenden Kräften von Musik und Dichtung, der unbestreitbaren Klarheit der Evolutionslehre – geriet Tom auch in dieser, in seiner Liebe zu Addie Kavanagh, »der jungen Sturmer«, trotz zahlloser Belastungsproben für den Rest seines Lebens nicht ins Wanken.
    Tom und Addie verbrachten den Herbstanfang im sogenannten Schaumboch-Haus in Hawk Mountain, achtzig Kilometer westlich von Burnham. Als Tom damals in Pennsylvania angekommen war, um seine Stelle in Burnham anzutreten, hatte er sich sofort mit einem Empfehlungsschreiben seines Betreuers bewaffnet das berühmte Naturschutzgebiet angesehen. Seitdem hatte er in jedem Herbst einige seiner guten Studenten mit dorthin genommen, wo sie stundenlang mit ihren Ferngläsern auf dem Kitattiny Ridge ausharrten und die durchziehenden Rotschwanzbussarde, Rundschwanz- und Eckschwanzsperber und die seltenen, aufregenden Wanderfalken zählten.
    Später in jenem Herbst lebten Tom und Addie zwei Monate lang in einem Cottage in Cape May, an der Südspitze New Jerseys, wo Addie ihre ersten Fischadler und Pelikane zeichnete und sich an einer Ohrenscharbe versuchte. Anfang 1967 dann segelten sie nach England, wo sie Addies alte Lieblingsplätze abklapperten und von dort aus nach Donegal weiterreisten, um Toms kränkliche Mutter zu besuchen.

    Wo auch immer sie waren, verbrachten sie die Vormittage im Freien und hielten Ausschau nach Vögeln. Während sie beide sich immer tiefer in ihre Arbeit versenkten – Vögel beobachten, schreiben und zeichnen, überarbeiten und korrigieren und, in jenem Jahr in zunehmendem Maße, erschütternde Forschungsberichte über den Rückgang von mehr und mehr Arten lesen –, schafften sie es mit der Zeit, gemeinsam draußen im Feld zu sein, ohne sich die Kleider vom Leib zu reißen und nach einem weichen,

Weitere Kostenlose Bücher