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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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wurde.
    Als sie gegen Ende des Sommers 1985 erneut ihre Zelte aufschlugen – Addie, Bob und ein paar wenige neue Genossen, darunter ein älteres Quäkerehepaar aus Bethlehem –, war es Addie, die die Organisation übernahm. Einige der neuen Häuser auf Schafers Land, das inzwischen den Namen Burnham Estates trug, waren beinahe fertiggestellt (wenn auch noch keines bewohnt war), und Kyle war zurück in Kalifornien.

    Und so verpasste er den Großbrand. Zwei Tage, nachdem Addie und die Gruppe erneut verhaftet und auf Kaution freigelassen wurden, gingen drei der Neubauten in Flammen auf. Vielleicht wäre alles anders verlaufen, wenn Kyle noch in Levittown gewesen wäre. Vielleicht hätte die Polizei um fünf Uhr morgens am Tag nach dem Brand an seiner Tür geklopft, statt bei Addie und Tom. Vielleicht wäre es Kyle gewesen, nicht Addie, der nur eine Stunde vor dem Eintreffen der Polizei Brian Kent gedrängt hätte, Richtung Süden zu fahren und erst anzuhalten, wenn er mindestens zwei Staatsgrenzen überquert hatte.
    Vielleicht, aber wahrscheinlich nicht. Gewiss hätte es nur Addie zu ihrer Mission gemacht, den armen, einsamen, gefährlichen Brian Kent zu beschützen. Addie, die reizende, junge, charmant unschuldige Addie Sturmer Kavanagh. Toms süße Adeline.
    Tom hatte sich ihr Leben so gänzlich anders vorgestellt. Natürlich hatte man ihn, oft sogar, darauf hingewiesen, dass es im besten Fall naiv war zu glauben, Addie würde sich mit der Rolle als Sekretärin und Schreibkraft und hin und wieder auch Illustratorin seiner Arbeit zufriedengeben. Aber er hatte sie nie so gesehen. Wie er in der Danksagung zu Eine Prosodie der Vögel geschrieben hatte, betrachtete er sie als Partnerin und Kollegin, empfand ihre präzisen und kenntnisreichen Beobachtungen im Feld als ebenso wichtig wie alles, was er selbst letzten Endes aufzeichnete.
    So hatte er sich das vorgestellt: als Zusammenarbeit. Sie beide, und später mit Scarlet sie drei, getrieben von ihrer eigenen Zugunruhe, ihrer persönlichen Route entlang der Ostküste folgend und dann mit dem Beginn des akademischen Jahrs wieder nach Hause zurückkehrend, um sich in ihrem Cottage am Nisky Creek niederzulassen.

    Darum war es bei all den Reisen nach Florida, New Jersey, Cape Cod, Maine, einen Sommer sogar bis hoch zu den lärmenden Brutplätzen der borealen Nadelwälder Kanadas gegangen. Das Gleiche galt für die angedachten weiteren Forschungsjahre. Das alles war Toms Idee und für gewöhnlich eine Reaktion auf eine von Addies Krisen, auf Phasen, in denen sie aus irgendeinem Grund aufgehört hatte, zu zeichnen und zu malen. Das alles waren seine unermüdlich unternommenen Versuche zu wiederholen, was für ihn ihr magisches Jahr gewesen war, ihre reinste und schlichteste Zeit gemeinsamer Arbeit damals in England und Irland, bevor Scarlet auf die Welt kam.
    War es dann so falsch, Addies Veränderungen und den Verlust dieses Zaubers – genau wie Addies wachsende und (in seinen Augen) zunehmend irrationale Angst vor Umweltzerstörung – Scarlets Geburt zuzuschreiben? Der Mutterschaft ?
    Die Bindung zwischen Addie und Scarlet verblüffte Tom zuweilen, ihre Rohheit, ihre Komplexität. Natürlich übten Brüste auf jeden Menschen eine Faszination aus, sagte er oft zu seinen Studenten; ihre Macht war für Säugetiere so umfassend. Und doch hatte Tom das nie wirklich begriffen, bis er seine eigene Tochter an Addies Brust trinken sah. Verzückt klammerte Scarlet sich an Addie, die wiederum ihre Tochter vollkommen instinktiv und allem Anschein nach ohne jedes Zögern, ohne jeden Unmut bis zu dem Tag stillte, an dem Scarlet drei Jahre alt wurde und erklärte, sie gäbe ihre »Addie-Milch« jetzt zugunsten der Teller und Löffel und aller anderen Dinge des Erwachsenenlebens auf. Da war sie schlagartig, so schien es, eine kleine Erwachsene.
    Und dann wiederum konnte so eine Kühle zwischen Mutter und Tochter herrschen, zumindest kam es Tom so vor – Stunden, die sie gemeinsam in einem Raum verbrachten, ohne
miteinander zu sprechen und kaum die Anwesenheit der anderen zur Kenntnis zu nehmen. Es war eigentlich keine Kühle, erklärte Addie ihm. Es so zu nennen, hieße misszuverstehen, was sich zwischen ihnen abspielte, dass nämlich Scarlet schon von klein auf das Bedürfnis ihrer Mutter nach Ungestörtheit, nach wenigstens einer Andeutung von Einsamkeit jeden Tag, verstanden hatte. Was ist das denn, wenn keine Kühle? , hatte er manchmal fragen wollen, es aber nie getan.
    Er selbst

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