Die Luft, die uns traegt
Plan trat. Trotz des Aufstauens von Flüssen, des Kahlschlags der Wälder, trotz der Verunreinigung von Wasserläufen und des unbekümmerten Spritzens von Pestiziden. Trotz des ganzen Menschenmülls inmitten ihrer natürlichen Heimat.
Addie erfuhr selbstverständlich nur wenige Wochen nach Tom von Bert Schafers Plänen für das südlich von ihnen gelegene Land, Lebensraum des wahrscheinlich brütenden Waldohreulenpaars. Wenn auch die Bucks County Mothers of the Earth damals, in den frühen Achtzigern, längst von der Bildfläche verschwunden waren, hatte Addie doch weiterhin Kontakt mit der losen Gruppe von Umweltschützern, den Randgestalten aus Philadelphia und umliegenden Gegenden, die allmählich die Geduld mit den stilleren Bemühungen ihrer Ortsverbände der Audubon-Gesellschaft oder des Sierra Clubs verloren. Es war der selbsternannte Anführer dieser kleinen, ziemlich desorganisierten Gruppe – ein zwanzigjähriger Studienabbrecher der University of California in Santa Cruz, der bei seinen Eltern im beschaulichen Levittown wohnte –, der Addie anrief und ihr von Bert Schafers Erwerb des Grundstücks südlich des Burnham College berichtete.
Sofort begann Addie daraufhin, alles über Schafers Pläne zu lesen, was sie nur in die Finger bekam. Sie lachte über die Sinnlosigkeit der Briefe, die Tom und seine Mitvogelfreunde
geschrieben hatten. Sie reagierte nicht auf Anrufe des Galeristen in Philadelphia, der sich schließlich nicht mehr meldete. Und einmal mehr hörte sie auf zu malen. Bereits im September lebte sie in einem Zelt auf Bert Schafers frisch erworbenem Grund.
Damals waren sie zu fünft. Sie kampierten zu Anfang im Wald, und über eine Woche lang bemerkte niemand, dass sie überhaupt da waren. Sie verließen nie ihren Zeltplatz. Abends brachte Tom ihnen Essen. Die ersten beiden Male begleitete Scarlet ihn noch, doch am dritten Tag lehnte sie ab, als er sie fragte, ob sie mitkommen wollte.
»Das ist einfach zu seltsam«, sagte sie.
»Ja, das stimmt«, antwortete er, während er Sandwiches und Äpfel einpackte und den Autoschlüssel vom Haken neben der Tür nahm.
Er war erleichtert, als er an diesem Abend bei dem traurigen Häuflein von Zelten eintraf und erfuhr, dass die Mahlzeiten der Gruppe künftig von einem Halbwüchsigen namens Brian Kent geliefert würden, dem Sohn eines der inzwischen versprengten Mitglieder der ehemaligen Kommune bei New Hope. Am dritten Tag der Landbesetzung war er aufgetaucht und hatte verkündet, helfen zu wollen. Da er erst sechzehn war, hatte Addie sich dagegen ausgesprochen, ihn im Camp aufzunehmen. Stattdessen bekam er jeden Morgen, wenn er bei den Zelten im Wald auftauchte, Geld, um Essen zu besorgen.
Für Tom – und für Addie auch, dessen war er sicher – war klar, dass mit Brian etwas nicht stimmte. Seine Augen hatten, wenn er denn einmal jemanden direkt ansah, denselben glasigen, entrückten Blick wie die Richards. Aber Brian Kent strahlte mehr Wut, mehr Verzweiflung aus.
Andererseits hätte man in den meisten Kreisen keinen der
fünf in diesen Zelten hausenden Leute, abgesehen möglicherweise von Addie, als »normal« bezeichnet. Da gab es Bob, den zornigen und desillusionierten, eindeutig einsamen pensionierten Ingenieur aus Bethlehem. Als Addie erfuhr, dass bei ihm erst vor kurzem Lungenkrebs diagnostiziert worden war, hatte sie wissend genickt, und Tom hatte einen Kommentar über die diversen Päckchen Zigaretten, die Bob am Tag rauchte, unterlassen. Dann waren da Kate und Nicholas, die Studenten der University of Pennsylvania mit den eigenartig geschorenen Köpfen und allerlei Piercings und Tätowierungen (»Das nennt man Punk, Papa«, hatte Scarlet gesagt), die dort zelteten, bis der Unterricht in einer Woche wieder begann.
Und es gab Kyle, den neuen, selbsternannten Organisator dieser Gruppe. Er trug Dreadlocks und benahm sich ziemlich flegelhaft, war meistens bekifft und ging – wie sofort deutlich wurde – jedem in der Gruppe auf die Nerven, weshalb die anderen sich eher von Addie Anleitung und Motivation erhofften. Also wurde sie der De-facto-Kopf der Gruppe während der kleinen, improvisierten Landbesetzungen von Schafers neuestem Baugrund. Die erste davon fand im Herbst 1983 statt, als Addie von Schafers Kauf erfuhr. Die zweite folgte im Jahr darauf, als Schafers Planierraupen und Schaufelbagger anrückten und der Prozess der Verwandlung von landwirtschaftlicher Nutzfläche in den Grundstein einer neuen »Modellgemeinde« in Gang gesetzt
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