Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
biss sich auf die Unterlippe. »Ich weiß es nicht.« Und dann: »Die Wahrheit wahrscheinlich.«
Sie hatte einen schalen Geschmack im Mund. Vielleicht war das ein erstes Anzeichen. Vielleicht waren Magenprobleme ja ein Symptom. Sie hielt Peony in den Armen und sah auf ihren Unterarm herab. Noch immer keine Flecken.
Peony schob sie von sich und wich zurück in den Schmutz. »Geh. Vielleicht bist du noch nicht krank. Aber sie werden dich trotzdem mitnehmen. Du musst hier weg.«
Cinder zögerte. Sie hörte das Knirschen von Laufflächen auf dem herumliegenden Abfall aus Aluminium und Plastik. Sie wollte Peony nicht alleine lassen, aber was, wenn sie sich wirklich noch nicht angesteckt hatte?
Sie rappelte sich auf. Gelbe Lichter kamen aus den Schatten auf sie zu.
Ihre rechte Hand schwitzte im Handschuh, ihr Atem ging wieder flach.
»Peony …«
»Geh weg! Los, hau ab!«
Cinder stolperte rückwärts. Und noch weiter zurück. Benommen folgte sie dem Impuls, sich nach dem zusammengeklappten Magnetriemen zu bücken. Sie lief auf den Ausgang zu, ihr menschliches Bein so taub wie die Prothese. Peonys Schluchzer verfolgten sie.
Drei weiße Androiden erwarteten sie hinter der Ecke. Sie hielten die gelben Sensoren unter ihren roten Kreuzen auf Cinder gerichtet und hatten eine schwebende Krankentrage zwischen sich.
»Sind Sie das Letumose-Opfer?«, fragte einer von ihnen in neutralem Ton und hielt einen ID-Scanner hoch.
Cinder versteckte ihr Handgelenk. »Nein. Das ist meine Schwester, Linh Peony. Sie … sie ist dahinten, nach links.«
»Haben Sie in den letzten zwölf Stunden direkten Kontakt mit dem Opfer gehabt?«, fragte der Androide.
Cinder wollte etwas sagen, dann zögerte sie. Vor Schuld und Furcht war sie wie gelähmt.
Sie könnte lügen. Es gab keinen Beweis dafür, dass sie es schon hatte, aber wenn sie sie mit in die Quarantäne nahmen, hätte sie keine Chance.
Doch wenn sie jetzt nach Hause ging, könnte sie alle anstecken. Adri. Pearl. Die lachenden Kinder, die kreischend über die Flure jagten.
Sie konnte ihre eigene Stimme kaum hören. »Ja.«
»Haben Sie Symptome?«
»N-nein. Ich weiß nicht. Ich bin etwas benommen, aber nicht …« Sie unterbrach sich.
Der Medidroide bewegte sich auf sie zu, seine Laufflächen knirschten im Dreck. Cinder stolperte rückwärts. Er sagte nichts, kam nur immer näher, bis sie mit den Waden gegen eine verrottete Vorratskiste gepresst wurde. Er hielt den Scanner in einem Greifer hoch, und dann kam ein dritter Arm aus dem Gehäuse heraus – eine Spritze, kein Greifer.
Cinder erschauerte, aber sie wehrte sich nicht, als er ihr rechtes Handgelenk packte und die Nadel in ihre Ellenbeuge pikste. Sie zuckte zusammen, dann sah sie zu, wie dunkle Flüssigkeit – im gelben Licht des Androiden war sie fast schwarz – in die Spritze lief. Sie hatte keine Angst vor Spritzen, aber alles begann sich zu drehen. Gerade bevor sie auf die Kiste sackte, zog der Androide die Nadel heraus.
»Was machst du da?«, flüsterte sie.
»Durchführung des Bluttests für Letumose-Erreger.« Cinder hörte, wie ein Motor im Androiden ansprang. Ein leises Piepsen begleitete die einzelnen Schritte. Während der Strom im Inneren gebraucht wurde, dimmte sich das Licht des Androiden herunter.
Sie hielt den Atem an, bis ihr Steuerelement ansprang und sie zum Luftholen zwang.
»ID«, sagte der Androide und hielt ihr den Scanner vor. Ein rotes Licht tastete ihr Handgelenk ab, bis der Scanner piepste und wieder im Gehäuse des Androiden verschwand.
Sie fragte sich, wie lange der Bluttest dauern würde und wann feststand, ob sie die Krankheitsüberträgerin war. Ob sie an allem schuld war.
Das Geräusch der Laufflächen kam wieder näher. Cinder drehte sich um, als die beiden anderen Androiden auftauchten, Peony auf der Trage zwischen sich. Sie saß aufrecht, die Hände um die Knie geschlungen. Aus ihren geschwollenen Augen warf sie wilde Blicke über den Schrottplatz, als suchte sie nach einem Ausweg. Als wäre sie in einem Albtraum.
Aber sie versuchte nicht wegzulaufen. Niemand kämpfte, wenn er in die Quarantänestation gebracht wurde.
Ihre Blicke trafen sich. Cinder öffnete den Mund, aber sie konnte nicht sprechen. Sie versuchte, Peony mit den Augen um Vergebung zu bitten.
Die Andeutung eines Lächelns legte sich um Peonys Lippen. Sie hob eine Hand und winkte, aber nur mit den Fingern.
Cinder winkte zurück. Es hätte sie treffen sollen.
Sie hatte ihren Untergang schon einmal
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