Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
hysterisch.
Cinder stand zitternd da, unfähig sich zu bewegen. Sie wollte Peony trösten. Sie wollte wegrennen.
Wie hatte das passieren können?
Peony war jung und gesund. Sie konnte sich nicht angesteckt haben.
Peony weinte und rieb über die Flecken.
Cinders Netlink schaltete sich ein, wie immer, wenn sie nicht mehr denken konnte, er suchte, fütterte sie mit Informationen, die sie nicht wissen wollte.
Letumose. Das Blaue Fieber. Weltweite Pandemie. Hunderttausende Opfer. Unbekannte Ursache, keine Heilung.
»Peony …«
Sie streckte zaghaft die Hand aus, aber Peony wich zurück und wischte sich die Tränen weg. »Komm mir nicht zu nah! Sonst bekommst du es auch! Ihr steckt euch alle an!«
Cinder zog die Hand zurück. Sie hörte Ikos surrenden Ventilator neben sich und sah, wie ihr blaues Licht über Peony und den Schrottplatz flackerte. Sie hatte Angst.
»Los, geht weiter weg!« Peony fiel auf die Knie und krümmte sich zusammen.
Cinder wich zurück, dann blieb sie stehen und sah zu, wie Peony sich in Ikos Scheinwerferlicht hin und her wiegte.
»Ich … ich muss einen Rettungshover rufen. Damit …«
Damit er dich wegbringt.
Peony reagierte nicht. Sie zitterte am ganzen Körper. Zwischen dem Wimmern hörte Cinder, wie Peonys Zähne klapperten.
Cinder fröstelte. Sie rieb sich die Arme und suchte sie nach Flecken ab. Sie fand keine. Dann musterte sie misstrauisch ihren rechten Handschuh. Sie wollte ihn nicht abziehen, nicht nachsehen.
Sie wich noch einen Schritt zurück. Drohend rückten die Schatten auf dem Schrottplatz näher heran. Die Blaue Pest. Sie war hier. In der Luft. Im Abfall. Wie lange dauerte es, bis sich die ersten Symptome zeigten?
Oder …
Sie dachte an Chang Sacha vom Markt. Der verschreckte Mob, der von ihrem Stand wegrannte. Das Geheul der Sirenen.
Ihr war mulmig.
War das ihre Schuld? Hatte sie die Pest vom Markt mit nach Hause gebracht?
Wieder untersuchte sie ihre Arme und wischte unsichtbare Käfer weg, die ihr über die Haut zu krabbeln schienen. Stolperte noch weiter zurück. Peonys Schluchzen drohte sie zu ersticken.
Eine rote Warnung flackerte auf ihrem Netzhaut-Display auf und teilte ihr mit, dass ihr Adrenalinspiegel deutlich erhöht war. Sie blinzelte sie weg, dann rief sie ihren Telelink auf. Obwohl ihr Magen sich umdrehte, schickte sie eine knappe Meldung raus, bevor sie sie hinterfragen konnte.
Notfall. Schrottplatz im Taihang-Viertel. Letumose.
Sie biss die Kiefer aufeinander. Ihre Augen brannten und sie hatte plötzlich heftige Kopfschmerzen. Sie müsste doch weinen, müsste schluchzen wie ihre Schwester!
»Warum?«, stotterte Peony. »Was habe ich denn bloß getan?«
»Nichts! Gar nichts!«, antwortete Cinder. »Es ist nicht deine Schuld.«
Aber es könnte meine sein.
»Was soll ich tun?«, fragte Iko so leise, dass man sie kaum verstehen konnte.
»Ich weiß nicht«, sagte Cinder. »Es ist ein Hover unterwegs.«
Peony wischte sich die Nase am Unterarm ab. Ihre Augen waren gerötet. »Ihr m-müsst gehen. Sonst steckt ihr euch an.«
Cinder wurde schwindelig. Sie hatte zu flach geatmet. »Vielleicht habe ich es schon. Vielleicht ist es meine Schuld, dass du es hast. Der Ausbruch auf dem Markt heute … Ich habe gedacht, dass ich weit genug weg war, aber … Peony, es tut mir so leid.«
Peony rieb sich die Augen. Das braune Haar hing ihr zerzaust über die Schultern und hob sich deutlich von ihrer blassen Haut ab. Ein Schluckauf, dann wieder Schluchzen. »Ich will nicht gehen.«
»Ich weiß.«
Mehr konnte Cinder nicht sagen. Hab keine Angst? Es wird alles wieder gut? Sie konnte nicht lügen, es wäre zu offensichtlich.
»Ich wünschte, ich könnte irgendetwas …« Sie unterbrach sich. Sie hörte die Sirenen vor Peony. »Es tut mir so leid.«
Peony wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab. Dann weinte sie wieder. Sie antwortete nicht. Erst als sie das Heulen der Sirenen hörte, richtete sie sich auf. Sie starrte in die Ferne zum Eingang des Schrottplatzes, irgendwo hinter den Abfallbergen, mit geweiteten Augen, bebenden Lippen und roten Flecken im Gesicht.
Es zerriss Cinder das Herz.
Sie konnte nicht anders. Wenn sie sich anstecken sollte, war das sowieso schon passiert.
Sie fiel auf die Knie und umschlang Peony. Der Werkzeuggürtel grub sich in ihre Hüfte, aber sie achtete nicht darauf, als Peony sich an ihrem T-Shirt festklammerte und wieder zu schluchzen begann.
»Es tut mir so leid.«
»Was wirst du Mama und Pearl sagen?«
Cinder
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