Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
hat. Na ja, dem Teil des Gehirns, mit dem man sich erinnert.«
»Der Hippocampus.«
»Wahrscheinlich.«
»Und wie alt waren Sie da?«
»Elf.«
»Elf.« Er atmete heftig aus. Seine Blicke schossen auf dem Boden hin und her, als sei der Grund für ihre Immunität dort zu finden. »Elf. Ein Hover-Unfall, oder?«
»Richtig.«
»Unfälle mit den Dingern sind heutzutage fast ausgeschlossen.«
»Nicht, wenn irgendein Idiot den Kollisions-Sensor ausbaut, um schneller fahren zu können.«
»Trotzdem kommt es mir nicht so vor, als ob ein paar Beulen und blaue Flecken solche umfangreichen Reparaturmaßnahmen wie bei Ihnen rechtfertigen.«
Cinder trommelte mit den Fingerspitzen auf ihren Hüften. Reparaturen – was für ein typischer Ausdruck für Cyborgs.
»Tja, also, meine Eltern sind bei dem Unfall gestorben, und ich bin durch die Windschutzscheibe gekracht. Die Wucht des Aufpralls hat den Hover aus der Magnetbahn geschleudert. Er hat sich ein paarmal überschlagen und mich unter sich begraben. Danach waren ein paar Knochen in meinem Bein nur noch Sägespäne.« Sie zögerte und spielte mit ihren Handschuhen. »Jedenfalls haben sie mir das erzählt. Wie gesagt, ich weiß davon nichts mehr.«
Sie erinnerte sich nur dunkel an den Narkose-Nebel, an ihre verschwommenen Gedanken – aber so deutlich an die Schmerzen danach! Ihre Muskeln hatten gebrannt. Ihre Gelenke geschrien. Ihr ganzer Körper hatte sich gegen das, was ihm angetan worden war, aufgelehnt.
»Haben Sie seitdem Probleme, sich Dinge zu merken?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. »Ist das wichtig?«
»Es fasziniert mich nur«, wich Dr. Erland der Frage aus. Er zog seinen Portscreen hervor und notierte sich etwas. »Elf Jahre alt«, murmelte er dann wieder. »Sie müssen viele verschiedene Prothesen gehabt haben, bevor Sie in diese hineingewachsen sind.«
Cinder biss sich auf die Unterlippe. Sie hätte tatsächlich verschiedene künstliche Gliedmaßen haben sollen, aber Adri hatte sich immer geweigert, neue Ersatzteile für ihre missgestaltete Stieftochter zu kaufen. Statt zu antworten, sah sie wieder zur Tür, dann auf die blutgefüllten Röhrchen. »Also … bin ich frei? Kann ich jetzt gehen?«
Dr. Erlands Augen wurden dunkler, als hätte ihn die Frage persönlich gekränkt. »Gehen? Linh-mèi, Sie müssen doch einsehen, wie wertvoll Sie für uns mit dieser Entdeckung geworden sind.«
Sie spannte die Muskeln an, ihre Hand wanderte zu dem harten Gegenstand in ihrer Cargotasche hinunter. »Also bin ich immer noch eine Gefangene. Nur dass ich jetzt wertvoll bin.«
Er sah sie freundlich an und verstaute den Port. »Die ganze Sache ist viel weitreichender, als Sie denken. Sie können gar nicht ermessen, wie wichtig … Sie haben überhaupt keine Vorstellung von Ihrem Wert.«
»Ja, und was ist jetzt? Wollen Sie mir andere tödliche Krankheiten einspritzen, um zu sehen, wie ich mit ihnen zurechtkomme?«
»Um Himmels willen, nein. Zum Töten sind Sie viel zu kostbar.«
»Vor einer Stunde haben Sie das noch etwas anders ausgedrückt.«
Dr. Erland sah wieder mit gerunzelter Stirn auf das Hologramm, als überdenke er ihre Worte. »Vor einer Stunde war alles noch völlig anders. Mit Ihrer Hilfe könnten wir Hunderttausenden das Leben retten. Wenn Sie das sind, wofür ich Sie halte, könnten wir – nun, dann könnten wir zunächst einmal die Cyborg-Einberufung stoppen. Außerdem würden wir Sie natürlich bezahlen.«
Cinder hakte die Daumen in die Gürtelschlingen ihrer Hose und lehnte sich gegen die Arbeitsfläche, auf der all die Geräte standen, die ihr vor kurzem noch so viel Angst gemacht hatten.
Sie war immun.
Und wichtig.
Die Aussicht auf das Geld war natürlich verlockend. Wenn sie nachweisen konnte, dass sie auf eigenen Füßen stand, könnte sie Adris gesetzliche Vormundschaft vielleicht aufheben lassen. Sie könnte sich ihre Freiheit zurückkaufen.
Doch sogar diese Aussicht verdüsterte sich, als sie an Peony dachte.
»Glauben Sie wirklich, dass ich helfen kann?«
»Ja, das glaube ich. Schon bald könnte Ihnen jeder lebende Mensch auf der Erde ungemein dankbar sein.«
Sie schluckte, hievte sich auf den Tisch und setzte sich im Schneidersitz darauf. »In Ordnung. Nur damit es keine Missverständnisse gibt: Ich bin jetzt freiwillig hier, das heißt, ich kann kommen und gehen, wann ich will. Ohne Fragen und Einwände.«
Das Gesicht des Doktors hellte sich auf, seine Augen leuchteten zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher