Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
wenn sie ihn nicht unterschreibt? Wenn sie meint, lange genug gewartet zu haben, und sich entschließt, ihre Drohungen wahr zu machen? Können Sie sich einen Krieg vorstellen, jetzt, mit der Blauen Pest und der schlechten wirtschaftlichen Lage und … Sie würde uns vernichten. Und sie weiß es.«
»Wenn sie einen Krieg beginnen wollte, dann hätte sie es schon längst getan.«
»Oder sie wartet nur auf den richtigen Augenblick, in dem wir so schwach sind, dass wir uns nur ergeben können.« Kai kratzte sich den Nacken und beobachtete das rege Treiben auf dem Flur. Alle waren einzig und allein damit beschäftigt, ein Gegenmittel zu finden.
Falls es ein Gegenmittel gab.
Er seufzte. »Ich hätte längst heiraten sollen. Dann würde Königin Levana gar nicht zur Diskussion stehen. Dann wäre sie gezwungen, einen Friedensvertrag zu unterschreiben … Falls sie überhaupt Frieden will.«
Als Torin schwieg, sah er den Berater direkt an und wurde von einer seltenen Wärme in seinem Blick überrascht.
»Vielleicht lernt Ihr beim Fest ja ein Mädchen kennen«, sagte Torin. »Verliebt Euch unsterblich, bleibt zusammen bis ans Ende Eurer Tage und seid all Eure Sorgen los.«
Kai funkelte ihn an, aber seine Wut verflog gleich wieder. Torin machte so selten Witze. »Ausgezeichnete Idee. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?« Er verschränkte die Arme. »Vielleicht gibt es etwas, was mein Vater und Sie übersehen haben. In der letzten Zeit habe ich manchmal darüber nachgedacht.«
»Oh, nur heraus damit, Eure Hoheit.«
Er senkte die Stimme. »In der letzten Zeit habe ich einige Nachforschungen angestellt.« Er machte eine Pause. »Über … na ja … über die Erbin der lunaren Krone.«
Torins Augen weiteten sich. »Eure Hoheit …«
»Ich bin noch nicht fertig«, sagte Kai und hob die Hand, um Torin zum Schweigen zu bringen, bevor er von ihm zurechtgewiesen wurde. Er wusste schon, was Torin sagen würde: Prinzessin Selene, Königin Levanas Nichte, war tot. Sie war vor dreizehn Jahren bei einem Brand gestorben. Es gab keine Erbin der lunaren Krone.
»Jeden Tag hört man Gerüchte«, fuhr Kai fort. »Sie sei gesehen worden, Leute behaupten, ihr geholfen zu haben, es gibt Theorien …«
»Nun ja, diese Theorien kennen wir doch alle. Aber Ihr wisst genauso gut wie ich, dass nichts an ihnen dran ist.«
»Aber was, wenn sie wahr sind?« Kai beugte sich vor und flüsterte Torin zu: »Was, wenn es da draußen irgendwo ein Mädchen gäbe, das Levana vom Thron stoßen könnte? Eins, das noch stärker ist als sie?«
»Hört Ihr eigentlich, was Ihr da sagt? Eine, die stärker ist als Levana? Meint Ihr jemanden wie ihre Schwester, die ihrer Lieblingsschneiderin die Füße abschlagen ließ, damit sie nichts anderes tun konnte, als ihr schöne Kleider zu nähen?«
»Ich spreche nicht von Königin Channary.«
»Nein, es geht um ihre Tochter. Kai, die ganze Familie, jeder Einzelne von ihnen, ist habgierig, gewalttätig und machtgierig. Es liegt ihnen im Blut. Glaubt mir, dass Prinzessin Selene – sollte sie doch noch am Leben sein – keinen Deut besser wäre.«
Kais Arme taten ihm weh, so verkrampft hielt er sie vor der Brust. »Schlimmer kann sie doch gar nicht sein«, sagte er. »Und wer weiß? Wenn die Gerüchte stimmen und sie all die Zeit auf der Erde verbracht hat, könnte sie schon anders sein. Vielleicht hätte sie sogar Mitleid mit uns.«
»Das ist Wunschdenken und es basiert auf Gerüchten.«
»Sie haben nie eine Leiche gefunden …«
Torins Mund war nur noch ein dünner Strich. »Sie haben gefunden, was von ihr übrig war.«
»Es schadet doch nicht, ein paar Nachforschungen anzustellen«, sagte Kai. Er war der Verzweiflung nah. Seit langem setzte er alles auf diese Idee, die Nachforschungen waren ihm zur einzigen Hoffnung geworden. Den Gedanken, dass all das nur Wunschdenken gewesen sein sollte, konnte er nicht ertragen, auch wenn er diese Möglichkeit immer im Hinterkopf behalten hatte.
»Es könnte uns sehr wohl schaden«, sagte Torin. »Wenn Levana herausfindet, dass Ihr diese Möglichkeit auch nur in Betracht zieht, ist unsere Chance auf einen Vertrag vertan. Wir sollten hier noch nicht einmal darüber sprechen – das ist gefährlich.«
»Aha, wer glaubt denn hier an Gerüchte?«
»Eure Hoheit, dies ist das Ende der Diskussion. Euer Ziel muss sein, einen Krieg zu verhindern. Nicht, sich Gedanken über eine Phantomprinzessin zu machen.«
»Was, wenn ich ihn nicht verhindern kann?«
Torin
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