Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
Moment, um ihn zu erkennen – Chang Sunto vom Markt. Sachas Sohn. Seine Haut glänzte vor Schweiß, die schwarzen Haare klebten ihm vom langen Schlafen an einer Seite des Kopfes. Asche und Tod, das Blut, das ist rot.
Inzwischen sahen alle, die kräftig genug zum Sitzen waren, zu ihr herüber.
Im selben Atemzug war Cinder bei Sunto. Sie fischte das Reagenzglas aus der Tasche und drückte es ihm in die klammen Finger. »Trink das.«
Der Medidroide erreichte das Fußende des Bettes, und Cinder schubste ihn zur Seite. Er kippte um wie eine geschlagene Schachfigur. Suntos fiebernde Augen folgten ihr ohne ein Zeichen des Wiedererkennens. »Trink das!«, befahl sie, zog den Korken heraus und presste ihm das Glas zwischen die Lippen. Sie wartete, bis sich sein Mund darum geschlossen hatte, dann rannte sie los.
Auf der Straße wurde sie von der Sonne geblendet. Vor ihrem Hover standen Medidroiden mit zwei Tragbahren voller Leichen, also rannte sie in die andere Richtung.
Sie umrundete eine Ecke und war schon vier Straßen weiter, als sie einen Hover über sich herankommen hörte. Unter ihren pochenden Füßen summten Magneten.
»Linh Cinder«, meldete sich eine dröhnende Stimme über den Lautsprecher. »Hiermit werden Sie aufgefordert, stehen zu bleiben und sich friedlich in Gewahrsam nehmen zu lassen.«
Sie fluchte. Wollten sie sie verhaften?
Sie drehte sich außer Atem nach dem weißen Hover um. Es war ein Vollstreckungshover, mit Androiden bemannt. Wie hatten sie sie so schnell aufgespürt?
»Ich habe ihn nicht gestohlen!«, schrie sie und streckte ihnen die Faust mit Peonys ID-Chip entgegen. »Er gehört ihrer Familie, sonst niemandem!«
Der Hover setzte mit brummendem Motor auf. Ein Androide kam die Rampe herunter und scannte Cinder mit seinem gelben Licht von Kopf bis Fuß, während er sich ihr näherte. In seinen Greifern hielt er einen Elektroschocker.
Sie stolperte in den Abfällen der menschenleeren Straße rückwärts.
»Ich habe nichts Falsches getan«, sagte sie zu dem Androiden, die Hände abwehrend nach vorn gestreckt. »Der Medidroide hat mich angegriffen. Es war reine Selbstverteidigung.«
»Linh Cinder«, kam es mechanisch aus der Maschine, »Ihr gesetzlicher Vormund hat uns über Ihr unerlaubtes Entfernen von Ihrem Aufenthaltsort informiert. Damit haben Sie gegen das Cyborg-Schutzgesetz verstoßen und wurden als flüchtiger Cyborg klassifiziert. Unsere Befehle lauten, Sie notfalls mit Gewalt festzunehmen und Ihrem gesetzlichen Vormund zu übergeben. Wenn Sie unseren Anweisungen friedlich Folge leisten, wird diese Ordnungswidrigkeit nicht in Ihrer Akte vermerkt.«
Cinder blinzelte ihn verwirrt an. Ein Schweißtropfen rollte ihr über eine Augenbraue, als sie von dem sprechenden Androiden zu einem zweiten sah, der gerade die Rampe des Hovers verließ.
»Was?«, fragte sie und ließ die Hände sinken. »Adri hat euch geschickt?«
28
Die unbehagliche Stille im Esszimmer wurde nur vom Klappern der Essstäbchen gegen Porzellan und den schlurfenden Schritten der Diener unterbrochen. Nur menschliche Diener waren anwesend, ein Zugeständnis an Levanas abgrundtiefes Misstrauen Androiden gegenüber. Sie behauptete, es verstoße gegen die Moral ihres Volkes und gegen die Gesetze der Natur, menschengemachten Maschinen künstlich Gefühle und Gedanken zu verleihen.
Aber Kai wusste genau, dass sie Androiden nur deshalb nicht mochte, weil sie sie nicht manipulieren konnte.
Er saß der Königin gegenüber und kämpfte dagegen an, sie anzusehen. Es lockte ihn und stieß ihn gleichzeitig ab, und beide Gefühle irritierten ihn. An seiner Seite saß Torin, während Levana von Sybil und dem Zweiten Thaumaturgen flankiert wurde. Ihre beiden Leibwächter standen an der Wand. Kai fragte sich, ob sie wohl jemals aßen.
Der Stuhl des Kaisers am Tischende würde bis zur Krönung leer bleiben. Auch den leeren Stuhl wollte Kai nicht ansehen.
Levana machte eine weit ausholende Geste und zog damit die Aufmerksamkeit aller auf sich, obwohl sie nur einen Schluck Tee trank. Sie zog ihre Mundwinkel hoch, als sie die Tasse absetzte und Kais Blick begegnete. »Sybil hat mir erzählt, dass Euer kleines Fest jährlich abgehalten wird«, sagte sie in einschläferndem Tonfall, als singe sie ein Wiegenlied.
»Ja«, sagte Kai und nahm ein Garnelen-Wan-Tan zwischen die Stäbchen. »Es fällt jedes Jahr auf den neunten Vollmond.«
»Ah, wie liebenswürdig von Euch, Eure Feiern nach den Phasen meines Planeten
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