Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
Aluminiumarme – einen von ihnen zierte Peonys Samtband.
Verbissen, aber vorsichtig ordnete sie den Haufen, Teil um Teil. Ihre Finger zitterten bei jeder zermalmten Schraube, bei jedem geschmolzenen Plastikteil. Sie schüttelte den Kopf und flehte inständig.
Schließlich fand sie, wonach sie suchte.
Mit einem dankbaren Schluchzen sank sie in sich zusammen und presste Ikos Persönlichkeitschip an die Brust.
Viertes Buch
Der Königssohn hatte aber eine List gebraucht und die ganze Treppe mit Pech bestreichen lassen: Da war, als sie hinabsprang, der linke Pantoffel des Mädchens hängengeblieben.
30
Cinder saß in ihrem Stand, das Kinn auf beide Handflächen gestützt, und sah auf den riesigen Netscreen über der überfüllten Gasse. Sie konnte die Kommentare des Reporters bei dem Chaos nicht hören, aber das brauchte sie auch gar nicht – er berichtete über das Fest, in dessen Mitte sie festsaß. Der Reporter schien allerdings mehr Spaß zu haben als sie, denn er winkte den vorbeifahrenden Imbissverkäufern und Jongleuren zu, den Schlangenmenschen auf kleinen Paradeflößen und dem Schwanzende eines vorbeischwebenden Glücksdrachen. Vom Trubel um ihn herum schloss Cinder, dass der Reporter auf dem Platz nur eine Querstraße entfernt sein musste, da, wo tagsüber die meisten Veranstaltungen stattfanden. Dort war es viel festlicher als in ihrer Gasse mit den Verkaufsständen, aber wenigstens war es bei ihr schattig.
Der Tag hätte ihr viel mehr Arbeit als normale Markttage eingebracht – viele Passanten erkundigten sich nach Preisen für die Reparatur kaputter Portscreens oder nach Ersatzteilen für Androiden –, aber sie schickte sie alle weg. Sie konnte in Neu-Peking keine Kunden mehr annehmen. Sie wäre gar nicht gekommen, wenn Adri sie nicht dazu gezwungen und gleich hier abgesetzt hätte, weil sie mit Pearl in letzter Minute noch ein paar Ball-Accessoires einkaufen wollte. Sie hatte den Verdacht gehabt, dass Adri sich daran weidete, wie alle dem auf einem Fuß hinkenden Mädchen hinterhergafften.
Aber sie konnte ihrer Stiefmutter ja schlecht erzählen, dass Linh Cinder, die stadtbekannte Mechanikerin, ihren Stand aufgab.
Weil sie Adri nicht erzählen konnte, dass sie wegging.
Sie seufzte und blies sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. Die Hitze war unerträglich. Das feuchte T-Shirt klebte ihr am Rücken. Doch die Wolken, die sich am Horizont auftürmten, versprachen Unmengen von Regen.
Keine idealen Straßenverhältnisse.
Aber das konnte sie nicht aufhalten. In zwölf Stunden würde sie schon weit außerhalb der Stadt sein, auf der Flucht. Sie war jede Nacht auf ihren selbst gemachten Krücken in die Garage gehüpft, nachdem Adri und Pearl ins Bett gegangen waren, und hatte am Auto gearbeitet. Letzte Nacht war der Motor endlich zum ersten Mal brüllend zum Leben erwacht.
Eigentlich war er eher ins Leben gestottert, wobei er schädliche Abgase aus dem Auspuff gespuckt hatte, von denen sie wie verrückt husten musste. Sie hatte fast die Hälfte des Forschungsgeldes, das Dr. Erland ihr überwiesen hatte, für eine Benzinfüllung aufgebraucht. Wenn sie Glück hatte, würde das bis zur nächsten Provinz reichen. Auch wenn es eine holprige und stinkende Fahrt werden würde.
Aber dann wäre sie frei.
Nein – sie wären alle drei frei. Ikos Persönlichkeitschip, Peonys ID-Chip und sie. Sie würden alle zusammen fliehen, so wie sie es immer gesagt hatte.
Auch wenn sie Peony für immer verloren hatte, hoffte sie wenigstens, eines Tages einen neuen Körper für Iko zu finden. Irgendein leeres Androidengehäuse – vielleicht sogar von einer Eskortdroidin, dem Abklatsch einer idealen weiblichen Figur.
Jetzt flackerte das andere Lieblingsthema der Medien über den Netscreen: Chang Sunto, das Wunderkind, das die Blaue Pest überlebt hatte. Er war unzählige Male über seine unglaubliche Genesung interviewt worden, und jedes Mal pochte Cinders Silikonherz wie wild.
Auch von ihrer eigenen verrückten Flucht aus der Quarantänestation liefen dauernd Bilder über die Netscreens, aber nie war ihr Gesicht zu sehen, und Adri war ohnehin zu abgelenkt durch den Ball und die Beerdigung, zu der Cinder nicht eingeladen worden war, um zu erkennen, dass das gesuchte Mädchen unter ihrem eigenen Dach lebte. Vermutlich schenkte Adri ihr so wenig Aufmerksamkeit, dass sie sie gar nicht erkannt hätte.
Es waren zwar Gerüchte über das Mädchen und Chang Suntos geheimnisvolle Genesung im Umlauf, und sogar
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