Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
mit den Oliven und Tomaten da.
»Alles in Ordnung?«
In seinen Augen blitzte irgendetwas auf. Wahrscheinlich Furcht, dachte sie.
»Warum hast du mich mitgenommen?«, fragte er. »Warum hast du mich nicht einfach in Ruhe gelassen?«
Sie spießte eine Artischocke auf und sah zu, wie das Öl tröpfchenweise ins Glas fiel. »Keine Ahnung. Ich hab mir nicht gerade eine Pro- und-Kontra-Liste gemacht.« Sie ließ die Artischocke in die Marinade fallen. »Es hat sich einfach nicht richtig angefühlt, dich dort zurückzulassen.«
Er kehrte ihr den Rücken, setzte die Olivendose auf der Arbeitsfläche ab und nahm den Dosenöffner zu Hilfe. Beim dritten Versuch hatte er endlich ein Loch in den Deckel gebohrt und begann den Öffner herumzudrehen.
»Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?«, fragte Scarlet. »Bevor wir in Paris angekommen sind?«
»Es hätte ja eh nichts geändert.« Er stellte die geöffneten Büchsen vor sie auf den Tisch. »Du hättest trotzdem darauf bestanden, deine Großmutter da rauszuholen. Und ich hab gedacht, ich stelle Jael deinen Fall vor und überzeuge ihn davon, dass du uns nichts nützen würdest und er dich gehen lassen sollte. Doch das hatte nur Aussicht auf Erfolg, wenn ich ihnen gegenüber loyal schien.«
Scarlet spießte das Artischockenherz ein zweites Mal auf und steckte es in den Mund. Sie wollte nicht darüber reden, was gewesen wäre, wenn … Sie wollte sich nicht damit beschäftigen, was hätte passieren müssen, damit ihre Großmutter und sie wohlbehalten auf den Bauernhof zurückgekehrt wären. Sie wusste auch nicht, ob es überhaupt möglich gewesen wäre.
Wolf senkte den Blick und quetschte sich auf eine Bank. Bei jeder Bewegung verzog er vor Schmerz das Gesicht. Dann stopfte er sich eine Tomate in den Mund und rümpfte die Nase. Es sah aus, als hätte er gerade einen Wurm verschluckt.
Scarlet unterdrückte ein Kichern. »Jetzt weißt du meine Tomaten zu schätzen, stimmt’s?«
»Ich weiß alles zu schätzen, was du mir gegeben hast.« Er roch misstrauisch an den Oliven, um sich nicht noch einmal hereinlegen zu lassen. »Auch wenn ich es nicht verdient habe.«
Scarlet biss sich auf die Lippe. Sie glaubte nicht, dass er von ihrem Gemüse sprach.
Sie stocherte in der Büchse herum und legte Wolf zwei Oliven auf die Handfläche.
Dann aßen sie schweigend. Wolf mochte die Oliven und aß mit Todesverachtung zwei weitere Tomaten, bevor Scarlet ihm eine Artischocke anbot. Wenn man alles zusammen im Mund hatte, war es fast annehmbar.
»Brot wäre nicht schlecht«, sagte Scarlet und ließ ihren Blick prüfend über die Regalbretter hinter Wolf schweifen, auf denen zusammengewürfelte Teller und Becher mit dem Emblem der Amerikanischen Republik festgezurrt waren.
»Es tut mir so leid.«
Sie bekam eine Gänsehaut auf den Unterarmen und traute sich kaum, ihn anzusehen, aber er starrte unverwandt auf die Tomatenbüchse, die er fast in der Faust zerdrückte.
»Ich habe dir alles genommen, woran du gehangen hast. Und deine Großmutter …«
»Wolf, bitte lass das. Wir können es nicht ungeschehen machen, sosehr wir das auch wollen. Außerdem … hast du mir den Chip gebracht. Und mich vor Ran gerettet.«
Er zog die Schultern hoch. Auf einer Seite standen ihm die Haare wild vom Kopf, auf der anderen waren sie blutverklebt und lagen platt an. »Dann habe ich erfahren, dass Jael dich foltern wollte. Er dachte, Michelle würde reden, wenn … Und das konnte ich nicht …«
Scarlet schauderte und schloss die Augen.
»Ich wusste, dass sie mich umbringen würden, wenn sie mich erwischten, aber …« Er suchte nach Worten. »Ich glaube, ich wollte lieber sterben, weil ich sie verraten habe, als leben, weil ich dich verraten habe.«
Scarlet wischte sich die öligen Finger an der Jeans ab.
»Ich war gerade auf dem Weg zu Michelle und dir, als ich Ran hinter dir herjagen gesehen habe. Ich war so durcheinander, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte – ich weiß wirklich nicht, ob ich euch helfen oder töten wollte. Aber als Ran dich gegen diese Statue geschleudert hat, ist irgendetwas mit mir passiert …« Er schüttelte den Kopf und seine Haare flogen. »Es spielt ja auch keine Rolle mehr. Ich bin ja sowieso zu spät gekommen.«
»Du hast mich gerettet.«
»Du hättest nicht gerettet werden müssen, wenn ich nicht gewesen wäre.«
»Ach ja? Hätten sie mich denn überhaupt in Ruhe gelassen, selbst wenn ich zu Hause geblieben wäre? Wohl kaum. Wenn sie
Weitere Kostenlose Bücher