Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
Einscannen bereit. Willkommen an Bord der …«
Cinder fiel ein Stein vom Herzen, als der Scanner über ihr Handgelenk gezogen wurde und sie in den Zug steigen konnte. Endlich hatte sie mit der Suche begonnen. Endlich brauchte sie nicht mehr untätig abzuwarten.
Sie fanden ein leeres Abteil mit Doppelkojen auf der einen, einem Schreibtisch und einem Netscreen auf der anderen Seite. Der ganze Waggon roch chemisch nach viel zu viel Lufterfrischer. »Es wird eine lange Fahrt«, sagte sie und legte die Tasche auf den Schreibtisch. »Gucken wir mal, was kommt. Hast du einen Lieblingssender?«
Wolf stand dicht an der Tür, sah vom Boden zum Schirm, dann aus dem Fenster hinaus und versuchte krampfhaft, ihrem Blick auszuweichen. »Eigentlich nicht«, sagte er und machte ein paar Schritte ins Abteil hinein.
Scarlet hatte sich im Schneidersitz an das Kopfende des Betts gesetzt, von wo aus sie nur das Flackern des Bildschirms auf dem mit Fingerabdrücken verschmierten Glas sehen konnte. »Ich auch nicht. Wer hat schon Zeit dazu, stimmt’s?«
Als er nicht reagierte, stützte sie sich auf den Handflächen ab und tat, als bemerkte sie das betretene Schweigen nicht, das zwischen ihnen entstanden war. »Ton an.«
Klatschreporter standen um einen Tisch herum. Scarlet hörte ihrem gehässigen Geschwätz nur mit halbem Ohr zu, bis sie bemerkte, dass sie über das Mädchen sprachen – über die Lunarierin auf dem Ball. Über ihre grässlichen Haare und den peinlichen Zustand ihrer Abendrobe. Gerade erörterten sie allen Ernstes die Frage, ob das wirklich Ölflecken auf ihren Handschuhen gewesen sein konnten. Ein geradezu tragischer Fall.
Eine der Frauen warf hämisch ein: »Schade, dass es im All keine Kaufhäuser gibt, das Mädchen braucht wirklich ein neues Outfit.«
Die anderen Gäste kicherten.
Scarlet schüttelte den Kopf. »Das arme Mädchen wird hingerichtet und alle machen Witze über sie.«
Wolf warf ihr einen schnellen Seitenblick zu. »Du verteidigst sie jetzt schon zum zweiten Mal.«
»Na ja, weißt du, ab und an versuche ich, selbst nachzudenken und den Medien nicht all die lächerliche Propaganda abzukaufen, die sie uns vorsetzen.« Sie runzelte die Stirn, denn ihr war nicht entgangen, dass sie sich genau wie Michelle anhörte. »Die Leute verurteilen sie, dabei haben sie keine Ahnung, was sie durchgemacht oder was sie angetrieben hat. Wissen wir denn mit Sicherheit, ob sie überhaupt irgendwas getan hat?«
Eine Computerstimme informierte die Reisenden, dass sich die Türen schließen würden, und nur Sekunden darauf schoben sie sich pfeifend zu. Der Zug hob sich von den Gleisen und glitt aus dem Bahnhof in die Dunkelheit eines Tunnels. Die einzige Helligkeit kam von der Flurbeleuchtung und dem blauen Flackern des Netscreens. Dann nahm der Zug Geschwindigkeit auf, eine Kugel, die über die Gleise glitt und plötzlich überirdisch im vollen Sonnenlicht dahinschoss.
»Auf dem Ball wurden Schüsse abgefeuert«, sagte Wolf in das Gequassel der Reporter auf dem Schirm hinein. »Sie sagen, das Mädchen wollte ein Massaker anrichten, und nur durch ein Wunder wurde niemand verletzt.«
»Einige sagen auch, dass sie dort nur aufgekreuzt ist, um Königin Levana umzubringen – und dann wäre sie doch eine Heldin, oder?« Scarlet schaltete abwesend von einem Sender zum nächsten. »Ich meine ja nur, dass wir sie – oder irgendwen anders – nicht verurteilen sollten, ohne erst zu versuchen, die Beweggründe zu verstehen. Dass wir erst die ganze Geschichte hören sollten, bevor wir unsere Schlüsse ziehen. Verrückte Vorstellung, ich weiß.«
Sie war etwas verunsichert, weil ihr das Blut in die Wangen stieg. Die Sender rauschten vorbei. Werbung. Mehr Werbung. Promiklatsch. Eine Reality-Show über Kinder, die ein eigenes Land regieren sollten. Noch mehr Werbung.
»Außerdem«, murmelte sie wie zu sich selbst, »ist das Mädchen erst sechzehn. Ich finde die Reaktionen der Leute einfach überzogen.«
Wolf kratzte sich hinter dem Ohr und setzte sich so weit von Scarlet entfernt auf das Bett, wie es nur ging. »Es sind schon siebenjährige Lunarier wegen Mordes verurteilt worden.«
Scarlet starrte finster vor sich hin. »Soweit mir bekannt ist, hat das Mädchen niemanden umgebracht.«
»Ich habe Venator gestern Nacht auch nicht getötet. Deswegen bin ich noch lange nicht harmlos.«
Scarlet zögerte. »Wahrscheinlich nicht.«
Nach einem langen Schweigen schaltete sie wieder zu der Reality-Show zurück und tat,
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