Die Lust des Bösen
sang, war auch die Erinnerung an seine Zeit seiner Arbeit in der Pathologie wieder da. Wie hatte er sie genossen ...
Wehmütig hing er seinen Gedanken nach, bis er die Wolfsschanze erreichte. Er stieg aus, hob die Schranke hoch und fuhr ein ins Führerhauptquartier.
»Mein Führer, wir kommen«, murmelte er, während er sich mit seinem Käfer den Weg durch den rutschigen Rastenburger Wald bahnte.
»So, hier sind wir, meine Liebe.«
Er klappte seinen Vordersitz nach vorn und wuchtete die sterblichen Überreste, die erstaunlich schwer waren, aus dem Auto.
Dann schaltete er die Scheinwerfer aus, knipste die Taschenlampe an und lief vorbei an der riesigen schwarzen Betonmauer zum Rückteil, dem Innenhof des Bunkers. Meine Güte, dachte er, warum müssen Leichen immer so schwer sein? So ein zartes Persönchen, aber ein gefühltes Gewicht einer Tonne. Er schleppte sich den schmalen Trampelpfad nach oben, und dann stand er da, den Blick in die Weite des Areals gerichtet, und schnaufte.
»Ich bin sicher, mein Führer, dir wird das, was ich dir mitgebracht habe, gefallen«, flüsterte er.
Während er den Pfad zwischen all den Betonblöcken nach unten in den Innenhof mehr rutschte als lief, sah er eine Feuerstelle, die noch frisch schien, denn etwas Glut glomm dort vor sich hin. Hier musste jemand gewesen sein.
Hmm, überlegte er, schau mal einer an, wie viele Verehrer du noch hast.
Er ging zu der Höhle, in der sich vermutlich Hitlers Schlafzimmer befunden hatte, und legte sein Opfer dort ab. Genau hier musste es gewesen sein, hier musste sein Bett gestanden haben. Er sah es direkt vor sich. Spartanisch eingerichtet, ganz so, wie der Führer es zu Lebzeiten immer gewollt hatte. Kein Luxus, keine Vergünstigungen. Ein Feldbett stand hier, darüber ein Regal mit zwei Büchern, ein Schrank, eine kleine Waschecke, ein einfacher Holztisch und zwei Stühle.
Während Wenger sich im Schlafzimmer umsah, kroch ihm plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken. In der Dunkelheit des Raumes sah er in die glühenden Augen des Führers, die ihn just in diesem Moment anblickten. Zwei strahlend blaue Augen mit einer alles durchdringenden Kraft, die ihn geradezu hypnotisierten. Als er spürte, wie real dieser Blick war, wurde ihm ein wenig unheimlich.
Am nächsten Morgen gegen zehn Uhr kam Leben in die Wolfsschanze. Der erste Reisebus mit einer Frauengruppe der Panther, einer der ältesten Service-Club-Organisationen weltweit, hielt auf dem Parkplatz. Lautes Geplapper und Gelächter drangen zum Restaurant, wo schon ihr Guide auf sie wartete.
Jaroslaw blickte zu den Frauen, die aus dem Bus drängten, die meisten um die fünfzig, und er hatte so gar keine Lust, schon wieder gelangweilte Weiber zu betreuen, die sich doch nicht für die Geschichte interessierten, sondern nur für sich selbst. Wieder würden sie die gleichen langweiligen Fragen stellen, wie oft denn Eva Braun hier gewesen war, und wieder würde er sagen, überhaupt nicht. Er würde eine Welle des Entsetzens und Unverständnisses ernten. Aber was soll’s? Er schnappte sich noch einen Becher Kaffee und ging auf die Frauen zu.
Renate, die Leiterin der Gruppe, begrüßte ihn und sagte ein paar nette Worte über den Grund des Besuches und über den Ablauf ihrer Reiseroute. Währenddessen wühlten einige noch in ihren Taschen, suchten Fotoapparat und Handy, um den Lieben zu Hause eine dringende Nachricht zu senden. Andere quatschten praktisch unentwegt miteinander, als hätten sie sich Monate oder Jahre nicht gesehen.
»Also, meine Damen, da Sie mir gesagt haben, Sie würden sich nur für Hitler interessieren, gehen wir ›straight on‹ zum Bunker 13.«
Die Stille und die besondere Atmosphäre des Rastenburger Waldes waren abrupt zu Ende. Eine lärmende, gut gelaunte Horde bahnte sich ihren Weg zu den Überresten des Bollwerks.
»Hier war er, meine Damen, der Hitlerbunker.«
»Wie oft war denn seine Freundin Eva hier?«, kam die unvermeidliche Frage.
»Überhaupt nicht!«, bemerkte der Historiker kurz und hörbar genervt.
»Das ist ja unglaublich! Wieso denn das, sie war doch seine Freundin?«, rief eine der Teilnehmerinnen.
Wenngleich er sich geschworen hatte, dieses Thema nicht weiter auszuführen, sah sich Jaroslaw nun doch zu einer Erklärung genötigt.
Während der Wissenschaftler geduldig all die folgenden Fragen beantwortete, gingen zwei der reiselustigen Damen zur Rückseite des Bunkers. Sie konnten es einfach nicht länger erwarten. So viel hatten sie
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