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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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halblangen Haare hatte sie gewöhnlich zu einem Zopf gebunden, und meist kleidete sie sich betont lässig mit Jeans, Lederjacke und Stiefeln. Ein wenig genervt schaute sie auf das Display ihres Handys, denn sie musste noch viel lernen, wenn sie morgen ihre Abschlussklausur in Erziehungswissenschaften bestehen wollte. Aber das, was auf dem kleinen Bildschirm zu lesen war, forderte ihre ganze Aufmerksamkeit und ließ ihren Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen schnellen.
    »Es ist aus!«, las sie – nur drei kurze Worte, und das war alles?
    Ihre Hände zitterten, sie war fassungslos, verzweifelt, aber vor allem wütend. So ein verdammter Idiot, schluchzte sie. Dieser Mistkerl hatte es doch tatsächlich fertiggebracht, sie per SMS abzuservieren. Das war so ziemlich das Letzte! Es war nicht nur gefühllos, sondern auch feige und ohne jeden Stil.
    Vollkommen regungslos saß sie im Historischen Lesesaal der Humboldt-Universität und versuchte sich krampfhaft auf ihre Klausurvorbereitung zu konzentrieren. Es wollte ihr einfach nicht gelingen.
    Unvermittelt dachte sie an ihren liebevollen, aber strengen Großvater, der sie jetzt bestimmt ermahnt hätte, sich zusammenzureißen, und musste lächeln. Immer dann, wenn sie Halt brauchte, fiel er ihr ein.
    S ie dachte an seinen missbilligenden Blick, den er so gern aufgesetzt hatte, wenn sein Gegenüber mal wieder etwas tat, was nicht zu seinen Vorstellungen eines gut erzogenen, disziplinierten und leistungsbewussten Menschen passte. Unwillkürlich streckte sie sich und machte ihre Schultern gerade – Disziplin und Contenance, hätte er sicher gesagt. Und er hätte es ganz bestimmt nicht erlaubt, dass sie wegen einer lächerlichen SMS ihres Nunmehr- Ex-Freundes Holger weinte und sich vollkommen hängen ließ.
    Ganz sicher war ihr Großvater der Grund, dass sie heute hier saß und auf Lehramt Deutsch mit dem Nebenfach Sport studierte. Bestimmt hätte es ihm gefallen, dass sie jungen Leuten etwas beibringen wollte. Und ganz gewiss war er es, dem sie es zu verdanken hatte, dass sie noch nicht aufgegeben und ihr Studium hingeschmissen hatte. Denn aufgeben, das hatte es für ihn nie gegeben.
    »Wenn du etwas in deinem Leben anfängst«, hatte er immer zu ihr gesagt, »dann musst du es auch zu Ende bringen. Ganz egal wie, aber bring es zu Ende.«
    Wie schwer war ihr das alles gefallen! Wie gerne hätte sie ihr Referendariat beendet und wäre hinaus in eine andere, eine neue Welt fernab von Schulhof, Angstschweiß und stickigen Klassenzimmern geflüchtet. In eine Welt ohne Migrantenkinder, ohne Beleidigungen, ohne Angst und ohne Gewalt.
    Täglich konnte sie mit ansehen, wie eine ihrer Schülerinnen von der Gold-und-Silberkettchen-Gang um Mehmet, Bükaan und Ali gemobbt wurde. Machtlos hatte sie es mit angesehen oder – besser gesagt – weggesehen, denn sie wusste, wenn sie einschreiten würde, dann würden sie es ihr heimzahlen, und sie wäre ihr nächstes Opfer. Bestimmt hätte ihr Großvater ihr deshalb eine Standpauke gehalten, warum sie sich zum Opfer machte, statt sich zu wehren.
    Als ob es gestern gewesen wäre, sah sie sich im Klassenzimmer der 9b stehen. Es war die erste Stunde, die sie selbstständig halten durfte. Sie hatte gerade die Klasse begrüßt, als einer der Jugendlichen, Mehmet Kurszul, sie anmachte.
    »Eh, Alte«, nannte er sie immer wieder, und als sie ihn ermahnte, wurde er dreister: »Steck dir den Kuli in den Arsch und sei frohlig.«
    Damals hatte sie vor der Klasse gestanden und nicht gewusst, wie sie mit so viel Frechheit umgehen sollte. Ihr Großvater aber hätte es gewusst. »Disziplin, Disziplin, Disziplin«, hätte er sicher gesagt – sie so lange üben lassen, bis sie es draufhatte.
    Aber Mehmet war kein Einzelfall: Achtzig Prozent ihrer Schüler hatten einen Migrationshintergrund, die Mehrzahl stammte aus der Türkei. Er war also nur die Spitze des Eisbergs, und wenn sie dieses Referendariat hier mit Anstand zu Ende bringen wollte, ja, wenn sie einfach nur überleben wollte, dann musste sie jetzt handeln. Sie hatte Mehmet streng angesehen und ihn angeschrien: »Verlassen Sie sofort meinen Unterricht!«
    Aber er hatte sie nur ausgelacht.
    »Was soll das, Alte, eh«, hatte er sie angepöbelt. »Fällt dir nichts Besseres ein? Bleib cool. Vielleicht musst du ja einfach mal wieder richtig durchgefickt werden.«
    Die Klasse lachte. Der junge Türke machte keine Anstalten, den Unterricht zu verlassen, und Anna – die nicht das Rückgrat hatte, ihm etwas mit

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