Die Lust des Bösen
aufmerksam zu und stellte unablässig Fragen. Aber wirklich verstehen konnte er diese Frau nicht. Er begriff nichts von dem, was sie erzählte, wusste nichts von Bolivien, nichts von ihren Gefühlen, ihren Werten oder gar der Religion, von der sie erzählte. Und es interessierte ihn auch nicht. Dieser ganze Quatsch von heiler Familie, Nächstenliebe, sozialem Engagement und Toleranz war nicht seine Sache.
Schon sein ganzes Leben lang war er ein bequemer Egoist. Arbeiten musste er nie. Seine Eltern waren zwei bekannte Münchner Promianwälte – Halbgötter in Schwarz – und konnten Justitia zittern lassen. Besonders sein Vater hatte es bis ganz nach oben geschafft.
Weil seine Eltern nie Zeit für ihn gehabt hatten, hatte Adriano schon früh lernen müssen, mit sich selbst zurechtzukommen. Ihr schlechtes Gewissen kompensierten sie, indem sie ihm alle Freiheiten ließen und ihn mit Geschenken und Geld überhäuften. Und er?
Er hatte es sich zu Hause bequem gemacht und die Annehmlichkeiten genossen. Seine Eltern wollten zwar, dass er Jura studierte, aber das war nicht sein Ding. Bloß keine Anstrengung, lautete seine Devise. Er war keiner dieser jungen, strebsamen Ehrgeizlinge, wozu auch – er hatte doch alles, was er wollte. Wenn er etwas brauchte, dann musste er es nur sagen. Nein, er wollte leben und das, was das Leben zu bieten hatte, genießen. Heute verdiente er sein eigenes Geld, ohne selbst wirklich etwas dafür tun zu müssen. Er musste einfach nur das tun, was er am besten konnte – er selbst sein: der charmante Macho, der Frauen »aufriss«, sie umgarnte und mit ihnen ins Bett stieg. Gab es einen besseren Job?
Und manchmal musste er eben auch so tun, als würde er ihnen zuhören und als würde es ihn interessieren, was sie ihm erzählten, und als könne er sie verstehen. Nein, verstehen würde er die Frauen wohl nie, dachte er. Aber er gab sich auch keine Mühe, denn Gefühle oder Sentimentalitäten konnte er sich in seinem Job nicht leisten.
Für Adilah aber war er wohl der erste Mann in ihrem Leben, der sich wirklich für sie zu interessieren schien.
Für ihn war es nichts weiter als ein Programm, das er abspulte – wie er es schon ein Dutzend Mal zuvor getan hatte. Immer wieder schien es die gleiche, simple Masche zu sein, mit der er sein Ziel erreichte. Fast ein wenig langweilig, überlegte er. Die Herausforderung fehlte! Aber vielleicht fand er in Adilah zum ersten Mal eine Frau, die ihm etwas entgegenzusetzen hatte. Bisher sah es zwar nicht danach aus, aber stille Wasser waren tief. Manchmal schlummerte in ihnen etwas, das zu entdecken sich lohnte. Vielleicht brodelte in ihr ja ein Vulkan, auf den er schon so lange vergeblich wartete.
Nach dem Essen überreichte er ihr einen riesigen Strauß roter Rosen.
Adilah, die noch nicht viele Erfahrungen mit Männern gesammelt hatte, war vollkommen überwältigt. Wie romantisch er doch ist, dachte sie. Zu Hause in Bolivien hatte ihr Vater immer streng darauf geachtet, dass sie nie zu lange allein mit einem Mann war. Als sie ihren ersten Freund, Haddasah, gehabt hatte, hatte sie sich heimlich mit ihm treffen müssen. Das war einige Zeit gut gegangen, bis es ihr Vater herausbekommen, getobt und ihn bedroht hatte. Ihr junger Verehrer hatte aufgegeben und sich nie wieder blicken lassen. Alles, was von ihrer Liebe geblieben war, war ein kindisches Liebestattoo auf ihrem Oberarm: »LAH« – »Love Adilah & Haddasah«. Und zu allem Überfluss hatte sie sich auch noch einen Adler darüber stechen lassen, der ihrer Liebe Flügel verleihen sollte. Adilah musste schmunzeln. Wie einfach damals alles gewesen war. Doch obwohl sie ihre Unschuld vor langer Zeit an Haddasah verloren hatte, war das Thema Sex für sie noch immer ein Buch mit sieben Siegeln. Sie wusste noch nichts davon, wie viel Leidenschaft es zwischen zwei Menschen geben und wie viel Lust man empfinden konnte.
Es war schon spät, und ihr Begleiter spielte seine Rolle als vollendeter Gentleman gut. Er fuhr sie nach Hause, blieb jedoch betont distanziert und kühl. Sie wunderte sich, warum er nicht versuchte, sie anzufassen, sie zu berühren. Warum war er auf einmal so verschlossen und in sich gekehrt? Hatte sie etwas falsch gemacht? Hatte sie zu viel erzählt? Vielleicht, überlegte sie weiter, bin ich ihm auch zu naiv und unerfahren?
Zweifel plagten sie, denn sie wollte diesen Mann nicht wieder verlieren. Sie hoffte, dass sie ihn wiedersehen würde, hoffte, dass auch er etwas für sie empfand und
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