Die Lust des Bösen
deren summende Geräusche sie bis in den Schlaf verfolgten.
»Hören Sie«, sagte sie zu dem einigermaßen verdutzten Oberarzt, »ich kann nicht länger untätig herumliegen, während ein Mörder weiter frei da draußen herumläuft. Ich bin sicher, wären Sie an meiner Stelle, würden Sie genauso handeln.«
»Sie wissen aber schon, Frau Lands«, entgegnete der Neurologe streng, »dass Sie das auf eigenes Risiko machen. Ich halte das für keine gute Idee.«
Lea nickt.
Wenig später war er zurück mit dem Entlassungsschein. »Geben Sie schon her«, meinte sie unwirsch und entriss ihm das Papier. Sie war zurück – ihre beste Freundin, die Ungeduld! Nichts ging ihr schnell genug. Wenn unerwartete Hindernisse auftauchten, wurde sie ruhelos, unruhig und neigte zu überstürzten, impulsiven Entschlüssen.
»Ich unterschreibe.«
»Gut, Frau Lands, falls irgendetwas sein sollte, falls Sie Schmerzen haben oder sich Ihr Zustand wieder verschlechtert, rufen Sie mich an, das müssen Sie mir versprechen.«
Sie sah ihn an. Kein schlechter Typ, dachte sie, wenn er nicht so verdammt überfürsorglich wäre. Einige Schwestern in diesem Krankenhaus würden bestimmt gern mehr Zeit mit ihm verbringen.
»Danke, Doktor, ich weiß Ihre Sorge durchaus zu schätzen. Glauben Sie mir«, ergänzte sie, während sie ihre Sachen aus dem kleinen Spind in ihrem Zimmer holte.
»Aber bevor Sie voller Tatendrang hinausstürzen«, meinte Dr. Schulz ein wenig amüsiert, »erlauben Sie mir, Sie noch einmal zu untersuchen.«
Auch die Kommissarin musste über ihre überstürzte Abreise nun schmunzeln.
»Außerdem soll sich unsere leitende Stationsschwester Amelie um einen Krankentransport kümmern, der Sie nach Hause bringen wird. Darauf muss ich bestehen«, erklärte ihr der Neurologe ernsthaft und bestimmt.
»Gut«, willigte sie ein, denn schließlich machte er ja auch nur seine Arbeit.
Von der Stationsschwester erfuhr sie dann, dass Jack eine ganze Nacht lang bei ihr gesessen und ihre Hand gehalten hatte.
Verdammt, die ganze Zeit über hatte sie so ein Gefühl gehabt. Sie hatte geglaubt, seine Stimme gehört und seine Berührung gespürt zu haben. Aber sie hatte ihrer Wahrnehmung nicht getraut, denn wer wusste schon, ob es nicht wieder nur eine Halluzination war?
Wenig später schloss sie die Tür zu ihrer Wohnung auf. Sie wollte gerade ihre Reisetasche abstellen, als ihr Arthur entgegenschoss; eine kleine Naturgewalt, wild und ungebändigt, sprang er an ihr hoch und erwischte sie mit seiner kalten, nassen, rauen Zunge direkt auf dem Mund.
Auf Max war eben Verlass. Wie gut, dass er sich um den Hund gekümmert hatte. Lea freute sich, endlich wieder zu Hause in ihren eigenen vier Wänden zu sein. Endlich wieder eine vertraute Umgebung, die Nähe ihres Hundes spüren und wieder in ihrem eigenen Bett schlafen. Das war mehr, als sie sich noch vor ein paar Stunden erträumt hatte.
J ack war in den letzten Wochen zunehmend unter Druck geraten. Nicht nur, dass immer neue Eskapaden, Gewaltaktionen und Sexpartys des »Generals« die Runde gemacht hatten, nein, auch seine eigenen Ideale und Ziele waren gewaltig ins Wanken geraten. Alles, wofür er eingestanden und gekämpft hatte, schien im Begriff zu sein, zu zerfallen und sich aufzu lösen.
Er hatte es nicht geschafft, seine Partei auf einen neuen, einen gewaltfreien Kurs zu bringen, hatte es nicht vermocht, die vielen Splittergruppen zu einigen. Und er konnte es nicht länger verantworten, tatenlos mitanzusehen, was mit seiner Partei passierte und welchen Kurs sie genommen hatte. Einen Kurs, der sie in raue See gebracht hatte, und er, der Kapitän, konnte sie nicht mehr unversehrt herausmanövrieren. Es war kein einfacher kleiner Sturm mehr, den sie – mit einigen Blessuren vielleicht, aber dennoch weitgehend unbeschadet – überstehen konnten. Nein, das hier war mehr! Es war ein ausgewachsener Orkan, der sich da gebildet hatte und der drohte, alles mit sich hinab in die Tiefe zu reißen, was Jack bisher aufgebaut hatte.
Doch nicht nur die Politik machte ihm Sorgen: Auch in der Liebe hatte er wohl total versagt. Warum eigentlich brachte er es nicht übers Herz, Lea noch einmal zu besuchen? Warum hatte er nicht den Mut, ihr zu sagen, was er fühlte – es war doch so einfach gewesen, als sie schlief? Und war es ihm nicht viel besser gegangen, war er nicht stolz darauf gewesen, endlich einmal seinen Gefühlen freien Lauf gelassen zu haben? Wovor hatte er Angst? War es davor, zurückgewiesen
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