Die Lust des Bösen
bekam, die sie verdient hatte. Und vor allem wollte sie keine Lügen mehr! Sie hatte genug von all den Heimlichkeiten, seinen Erklärungen, schein heiligen Ausreden und seinen Affären, über die sie in den letzten Jahren großzügig hinweggesehen und dabei immer mehr von sich selbst aufgegeben hatte. Sam war nie ein Heiliger gewesen – besonders zu seiner Zeit als Universitätsprofessor, immer umgeben von diesen jungen Dingern, die ihn anhimmelten. Doch damit war jetzt Schluss!
Mirja wusste, dass sie einen ausgesprochen attraktiven, charmanten und noch dazu erfolgreichen Mann geheiratet hatte. Sie war Realistin genug, um sich nichts vorzumachen, und sie wusste nur zu gut, dass man diesen Typ Mann nie ganz für sich allein haben würde. Die ganzen Jahre über hatte sie es geduldet, wenn er mal wieder eine Affäre mit einer dieser jungen Studentinnen gehabt hatte.
Sie wusste, dass diese Geschichten nie von Dauer waren – nichts, was in die Tiefe ging. Es war nur Sex, hatte sie sich immer getröstet – schneller und oberflächlicher Sex. Wenn er danach reumütig zu ihr zurückgekommen war, hatte sie seine Auf merksamkeiten genossen. Die vielen Blumen, die romantischen Abendessen und seine Liebesschwüre. Ja, sie hatte ihm geglaubt.
Und jetzt? Jetzt wollte ihr so ein kleines Biest alles nehmen? Alles, wofür sie in den letzten Jahren gelebt und wofür sie gelitten hatte, sollte plötzlich umsonst gewesen sein? Diese ständigen Telefonate, diese nächtlichen Treffen. Wieder diese Heimlichtuerei. Es schien nicht einfach nur eine weitere Affäre wie die vielen in den letzten Jahren zu sein.
Nein, das hier ging tiefer. Sam hatte sich verliebt! Nie hatte sie ihn glücklicher, nie ausgeglichener erlebt. Und sie kannte ihren Mann. Da musste eine Frau dahinterstecken. Normalerweise reichte sein Glück allenfalls für ein paar Tage – und nun? Wochenlang ging das schon. Immer dann, wenn das Telefon klingelte, schien er aufzuleben und stürzte sich wie ein verliebter Teenager auf den Hörer – als wollte er etwas Wertvolles beschützen. Und das tat weh. Verflucht weh. Und was blieb für sie?
Nicht mehr als ein paar Brosamen – ein gemeinsames Abendessen mit oberflächlichen Gesprächen, eine zärtliche Berührung im Vorbeigehen, die doch nicht mehr als eheliche Routine war. Nichts war mehr übrig – keine Leidenschaft, kein Sex. Vermutlich schonte er ja seine Lenden für dieses elende kleine Biest!
Hatte sie das verdient? Nein! Nichts konnte das, was sie für ihn getan hatte, je aufwiegen. Dieser Mistkerl stand in ihrer Schuld. Eine Schuld, die er niemals – sein ganzes Leben lang nicht – würde abtragen können, und er würde es auch nicht wollen. Mirja wusste, dass er weder ein schlechtes Gewissen noch Reue empfand. Deshalb gab er sich auch keine Mühe, seine Affäre zu verheimlichen.
Damals, als sie sich in der Uni kennengelernt hatten und sie kurz darauf schwanger geworden war, hatte sie ihr Medizinstudium im siebten Semester aufgegeben. Sie wollte ganz für ihn da sein, und das war auch sein Wunsch gewesen.
»Mein Schatz«, hatte er zu ihr gesagt, »jetzt, wo die Kinder kommen, musst du nicht mehr an die Uni oder vielleicht sogar in diesen schrecklichen Pathologiesälen herumstehen. Du kannst zu Hause bleiben. Sei für mich und die Kinder da.«
Das hatte sie dann auch gemacht. Bis die Jungs groß waren, war sie nur die perfekte Hausfrau und treusorgende Ehefrau und Mutter gewesen. Er und die Kinder – sie waren ihr Lebensinhalt. Und nun, nachdem die Jungs aus dem Haus waren, hatte sie doch nur noch ihn. Aber obwohl sie jetzt mehr Zeit füreinander hatten, entfernte er sich immer mehr von ihr.
Wie viel anders wäre es jetzt, wenn sie als Ärztin arbei ten könnte, nette Kollegen hätte und vielleicht sogar Erfolg? Aber jetzt stand sie mit leeren Händen da, vor den Scherben ihrer Ehe, und wenn Sam sie verließ, war sie ganz allein. Und der Sinn ihres Lebens? Ja, was war eigentlich der Sinn ihres Lebens?
Diese Frage hatte sie sich in all den Jahren nie gestellt. Warum auch? Sie hatte nie wirklich Grund dazu gehabt, Dinge in Frage zu stellen. Sie wollte glücklich sein mit der Familie und Sam – sie waren ihr Glück, hatte sie geglaubt.
Nie hatte sie etwas vermisst, einen Beruf oder gar eine Karriere. Vielleicht hatte sie sich auch einfach nie Zeit für sich genommen – nur einen Augenblick für sich selbst, um nachzudenken? Aber jetzt war der Zeitpunkt da, und sie spürte diese Leere. Es war eine
Weitere Kostenlose Bücher