Die Lust des Bösen
schmerzliche Erfahrung.
Sie wusste, dass sie einen Weg finden musste, um zu sich selbst zu finden und zu entdecken, wer sie eigentlich war. Aber das war ein verdammt schwerer und leidvoller Weg. Noch immer war sie sich nicht sicher, ob sie ihn gehen wollte, aber sie spürte ganz deutlich, dass etwas passieren musste. Ein Teil von ihr verdrängte immer noch das Unangenehme, wollte sich nicht damit auseinandersetzen, wollte, dass alles so blieb, wie es war. Sie wollte noch nicht alles verloren geben, wofür sie gelebt hatte, denn sie liebte Sam und würde ihn nicht einfach so für eine dahergelaufene junge Göre aufgeben! Sie würde kämpfen – etwas, das sie bis heute nie getan hatte.
Immer mehr spürte Mirja, wie sich ein bisher unbekanntes Gefühl in ihr ausbreitete. Eine Empfindung, die fast verschüttet gewesen zu sein schien, drängte nun in ihr Bewusstsein mit einer Wucht, die keinen Widerstand zuließ und die eine ungeheure Energie freisetzte. Es war Wut, nichts als blanke, leidenschaftliche Wut, die sich tief in ihrer Seele eingenistet hatte, an ihr fraß und sie zu ersticken drohte.
Sie musste diesem Gefühl nachgeben. Nur so konnte sie sich befreien. Ja, es ging ums nackte Überleben – und zum ersten Mal drehte sich nicht alles um Sam, sondern um sie. Sie musste diese Triebe befriedigen, und dafür gab es nur einen Weg: Rache und Vergeltung.
Ein niederes Motiv, aber eines, das jedem von uns innewohnt. Eines, das uns sagt, wann es genug ist.
Ja, sie musste ihn bestrafen, musste ihm klarmachen, warum und wofür sie sich rächte. Sie musste eine Botschaft überbringen, die er verstand, eine, die ankam, und eine, die er sein ganzes Leben lang nicht vergessen würde.
Aber was sollte sie tun, und wie weit durfte sie gehen? Sollte sie seinen geliebten Wagen in Flammen aufgehen lassen? Ihm eine hasserfüllte SMS schreiben? Oder ihm sagen, was sie fühl te? Das war viel zu milde für das, was er ihr angetan hatte! Sie wollte ihn endlich auch leiden sehen. Er sollte die gleiche Trauer, dieselbe Demütigung und dieselbe Ohnmacht fühlen, die sie die ganze Zeit über ertragen hatte. Diesen Schmerz, der sie jetzt schier wahnsinnig machte. Sam sollte nicht mehr wissen, wie sein Leben weitergehen konnte, sollte nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, nicht mehr wissen, wer er eigentlich war. Er sollte fühlen, was sie gerade fühlte. Und dann – wenn er genug gebüßt hatte – würde er zu ihr zurückkommen, demütig und voller Reue in die Arme seiner verständnisvollen Ehefrau, wie all die Jahre zuvor.
Eines Abends war sie ihrem Mann gefolgt und hatte gesehen, wie er sich mit dieser Lea in einem Restaurant traf. Ihren Namen hatte sie inzwischen herausgefunden, weil Sam ihre Visitenkarte als Lesezeichen in einem seiner Bücher benutzt hatte und sie beim Staubwischen herausgefallen war. Die beiden trafen sich ausgerechnet bei ihrem Lieblingsitaliener! Mirja hatte beo bachtet, wie sie sich angeregt unterhielten, vertraut miteinander umgingen, und wie viel sie zusammen lachten. Das hatte sie schon lange nicht mehr mit ihrem Ehemann erlebt. Und als die beiden dann das Restaurant verließen, hatte sie gesehen, wie sie sich küssten und wie diese verdammte Hure mit ihrer Harley davonfuhr. In diesem Moment war ihr die Idee gekommen. Ihre Augen funkelten, während sie ein diabolisches Gefühl erfasste. Endlich fühlte sie sich nicht mehr kraftlos. Sie konnte etwas tun und ihr Schicksal in die Hand nehmen. Zum ersten Mal fühlte sie sich stark! Sie würde die Siegerin sein, denn sie war diejenige, die agierte! Nie war sie so spontan und emotional gewesen. Aber heute siegte dieses starke, machtvolle Gefühl des Augenblicks, das sie beherrschte. Das nötige Wissen zur Durchführung wür de ihr das Internet liefern. Erregt und von ihren Rachegefühlen aufgeputscht, setzte sie sich vor ihren Computer.
Ein paar Tage später war sie auf den Parkplatz des Polizeipräsidiums gefahren. Alles war ganz simpel und leicht gewesen. Sie hatte nicht einmal einen Anflug eines schlechten Gewissens verspürt, im Gegenteil. Ein Gefühl von Erleichterung hatte sich in ihr ausgebreitet, gerade so, als sei eine schwere Last von ihr genommen. Sie war sich sicher, das Richtige getan zu haben. Zufrieden und innerlich ruhig war sie wieder in ihren Golf gestiegen und nach Hause gefahren.
N achdem sie eine weitere Nacht und fast einen ganzen Tag durchgeschlafen hatte, fühlte sich Lea schon deutlich besser. Ihre Kopfschmerzen schienen
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