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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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finden, genauso, wie er immer mehr Gefallen an Hitler fand. Schließlich verband die beiden ja vieles: Die nicht ganz geklärte Identität der Vorfahren, ihr Schulversagen, beide hassten Juden, und sie waren Vegetarier, genau wie er. Ja, er hatte viel über sie gelesen. Wagners Musik beschwor in dem in sich zurückgezogenen Wenger ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das er sonst nie hatte. Jede freie Minute verbrachte er vor seinem alten Computer und recherchierte, und allmählich begann er sich mit dem Komponisten und dem Diktator zu identifizieren. Er bewunderte Wagners Opernfiguren Lohengrin, Stolzing und Tannhäuser, denn sie waren Außenseiter, genau wie er. Auch sie scheiterten an der vorgegebenen Ordnung und gerieten in Konflikte, weil sie sich nicht unterwarfen und sich nicht demütigen ließen. Fast schien es, als ob er das Leben der bewunderten Vorbilder nachleben wollte oder sich doch auf sie hin stilisiert hatte.
    Und noch etwas gab es, was ihn faszinierte: Sowohl Hitler als auch Wagner hatten einen übersteigerten Machtwillen und eine von Grund auf despotische Neigung gehabt. Vielleicht war es genau dieser Machtwille, den Wenger verspürte, wenn er die Musik hörte – aber auch die Einsamkeit, in der er sich Zeit seines Lebens befunden hatte.
    Seine Freundin Daniela vermochte niemals seine Entfremdung zu durchbrechen. Die einzige wirkliche Freundin, die es in seinem Leben gab, war seine Schäferhündin Blond, die er bei einer Autofahrt am Rande einer Straße aufgelesen und gegen den heftigsten Protest seiner Freundin mit nach Hause gebracht hatte. Daniela mochte keine Tiere und schon gar keine Hunde. Die machten doch nur Dreck und stanken fürchterlich!
    Es war das erste und einzige Mal, dass Wenger es gewagt hatte, sich gegen seine dominante Lebensgefährtin aufzulehnen. Blond hatte dafür gesorgt, dass Danielas Pläne, zu ihm zu ziehen, auf Eis lagen. Sie hatte ihm so die Hölle heißgemacht, dass er wie ein Kaninchen vor der Schlange saß, sobald sie auch nur ihre Stimme erhob. Aber seit diesem Tag, an dem er den süßen Welpen mit nach Hause gebracht hatte, waren er und Blond ein Herz und eine Seele. Nichts liebte er in seinem Leben – wusste er doch gar nicht, was Liebe eigentlich ist –, aber mit diesem Hund, so schien es zumindest, verband ihn eine innige Beziehung. Dieser Hund war das erste Wesen, das ihn so akzeptierte und liebte, wie er war.
    E s war schon lange her, dass Wenger das letzte Mal mit Leichen zu tun gehabt hatte. Wie sehr hatte er sich damals danach gesehnt, endlich – nach seiner langen Zeit in der Pathologie – eine Sektion an einer Leiche vorzunehmen. Er hatte sich gefragt, wie es wohl wäre, das Skalpell in die menschliche Haut zu stechen, die Klinge tiefer in das Fleisch zu versenken und dann den ersten Schnitt zu setzen, das Brustbein zu öffnen.
    Wehmütig dachte er an diesen Abschnitt seines Lebens zurück. Was wäre wohl aus ihm geworden, wenn er damals nicht die Beherrschung verloren und versucht hätte, an einer der ihm anvertrauten Leichen herumzuexperimentieren? Wo wäre er wohl heute, wenn ihn diese junge Ärztin nicht erwischt und er seinen Job in der Pathologie nicht verloren hätte?
    Wenger überlegte angestrengt, aber irgendwie wollte sich das Bild nicht zusammenfügen.
    Eigentlich war er froh, dass er damals auf diesen verrückten Taxifahrer gestoßen war, der ihm von seiner Zeit als Chauffeur berichtet hatte.
    »Die Hände sind das Wichtigste«, hatte er ihm erzählt. Alle zwei Wochen würde er zur Maniküre gehen, denn es sei unheimlich wichtig, dass man gepflegte Hände habe. Der Kunde wolle das so.
    Schließlich hatte sich Wenger durch Ausbildung und Schu lungen fit für den Job hinter dem Steuer nobler Karossen gemacht. Und je tiefer er eingetaucht war in dieses Leben, umso mehr hatte er bemerkt, wie ideal dieser Beruf doch für ihn war. Hier musste er nicht viel reden, konnte seinen Gedanken freien Lauf lassen, musste sich nicht beweisen. Hier fand er zudem Zeit und Ruhe, seinem Hobby nachzugehen: Sukzessive hatte er die Fotografie für sich entdeckt. Auch seinen dunklen Leidenschaften konnte er frönen, die wohl damals, in jener Zeit in der Pathologie, ihren Anfang genommen hatten.
    Wie lange mochte das wohl her sein, dass er sich in die Rechts medizin-Vorlesung in der Berliner Charité geschlichen und so getan hatte, als wäre er ein Medizinstudent? Er wusste es nicht.
    Niemand hatte dort seinen Studentenausweis sehen wollen. Und wenn er sich dann

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