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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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blieb.
    Jack hatte dieses bestimmte Etwas, das ihn von all den farblosen Politikern der anderen Parteien unterschied. Seine Bühnenpräsenz war gewaltig. Wenn er anfing, seine Reden zu halten – und er war ein brillanter Rhetoriker –, dauerte es nicht lange, bis der Saal kochte.
    Und dabei wandte er immer wieder dieselbe Masche an, griff stets in die gleiche Schublade und brachte die Menschenmassen damit zum Toben. Es waren Sätze wie: »Stellen Sie sich vor, dass wir Deutschen wieder stolz sein könnten, Deutsche zu sein, uns nicht mehr schämen müssten für unsere Geschichte. Lange genug hat es jetzt gedauert, dass wir für alles und für jeden wegen des Kapitels Nationalsozialismus geradestehen mussten. Damit muss jetzt Schluss sein! Schluss mit den Entschädigungszahlungen an die jüdische Bevölkerung. Wir sind eine neue Generation und haben mit der Vergangenheit abgeschlossen. Wir sind stolz, Deutsche zu sein, und wir werden Deutschland wieder nach ganz vorne bringen!«
    Eigentlich kam er aus einem einfachen Elternhaus. Sein Vater hatte ein kleines Bauunternehmen im hessischen Bad Homburg, mit dessen Einnahmen sie gerade so über die Runden kamen, und seine Mutter arbeitete als Aushilfe in einem Kindergarten. Nur selten hatte er seinen Erzeuger zu Gesicht bekommen. Der ging morgens um sechs aus dem Haus und kam erst gegen sieben Uhr abends müde und abgekämpft wieder heim. Sein Job auf dem Bau war anstrengend, insbesondere im Sommer, wenn es heiß war und die Sonne den ganzen Tag unerbittlich auf die Arbeiter herunterbrannte. An solchen Tagen war er oft gereizt und genervt. Als echter Choleriker hatte er Jack mehr als einmal wegen unsinniger Lappalien angeschrien.
    Und wenn er selbst es nicht war, der Papas Zorn heraufbeschwor, dann war es seine Mutter. Ja, seine Mutter, Monica, die liebte er über alles, und sie war bis heute immer für ihn da. Egal, was passierte. Monica war eine äußerst warmherzige Frau, die Menschen schon nach wenigen Minuten mit ihrer Wärme einfangen konnte. Bei ihr fühlte man sich wohl und beschützt. Sie war es, die immer an ihn geglaubt hatte.
    Damals, als er anfing Jura zu studieren und noch nicht wusste, wie er sein Studium eigentlich finanzieren sollte, nahm er Gelegenheitsjobs an, jobbte in Kneipen als Kellner oder musizierte mit seinem Saxofon. Das war seine große Leidenschaft; gerne wäre er Musiker geworden.
    Aber er war Realist genug, um zu wissen, dass er besser sein musste, wenn er es bis ganz nach oben schaffen wollte.
    Mit dem Jurastudium hatte er eine Chance. Nach nur sieben Semestern hatte er sein juristisches Staatsexamen mit Auszeichnung in der Tasche, und ihm standen alle Türen offen. Staatsanwalt wollte er werden, und genau dort war er auch angekommen. Leitender Staatsanwalt am Landgericht Berlin.
    Wenig später hatte er begonnen, an der Börse zu spekulieren. Es war die Hochphase gewesen, und es hatte geschienen, als würde alles gelingen. Der Neue Markt und die vielen kleinen Biotech-Unternehmen hatten einen wahren Hype ausgelöst. Eines davon hatte Jack nach nur einem Jahr einen so großen Gewinn beschert, dass er eigentlich nie mehr hätte arbeiten müssen. Das Unternehmen forschte damals an einem Medikament gegen Alzheimer und schaffte mit der Entwicklung eines Impfstoffes seinen ersten großen Durchbruch. Wenn es dieser Impfstoff tatsächlich bis zur Marktreife schaffen würde, wäre das eine medizinische Revolution. Nicht nur, dass man die Menschheit von einer ihrer schrecklichsten Geißeln befreien könnte, nein, es würde Jack auch noch einmal einen stattlichen Betrag in die Kasse spülen.
    Aber er war keiner, für den solche Geldbeträge ein Grund gewesen wären, auszuflippen, die Bodenhaftung zu verlieren, arrogant zu sein oder gar gierig zu werden – ganz und gar nicht. Er verfiel nicht der verlockendsten Sünde der Menschheit – der Gier, der so viele an der Börse hoffnungslos verfallen waren.
    Vor genau zehn Jahren war es gewesen, im März 2000, als der Nemax50, der Auswahlindex für den Neuen Markt, sein Allzeithoch bei 9.666 Punkten erreicht hatte – und mit ihm die Spekulationsblase in unbekannte Höhen geschossen war. Und dann war der freie Fall gekommen: Ende September 2002 sack te der Index in den Keller. Totalcrash! Die Spekulationsblase war geplatzt. Die Achterbahnfahrt im Börsensegment für Technologie-Aktien der New Economy hatte während dieser Zeit alles Mögliche hervorgebracht: Sternchen und Sternschnuppen, Milliardenreichtum

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