Die Lust des Bösen
alles andere auch so einfach wird …, jubelte Wenger innerlich.
»Fahren wir!«, rief Jack, und Wenger chauffierte ihn im dunkelgrauen Audi A8 zur Landesvertretung. Als sie dort eintrafen, herrschte großer Andrang, und an ein Durchkommen war fast nicht zu denken. Doch nach einigen Minuten hatten sie es geschafft, sich durch die Autokolonne, die sich vor der Einfahrt der Tiefgarage gebildet hatte, zu schleusen.
Wenger fuhr die Rampe hinunter, ließ seinen Chef aussteigen und war nun allein. Jetzt konnte er auf Erkundungstour gehen.
Er holte seine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und begann seine Expedition. Das Untergeschoss der Landesvertretung war nicht besonders groß. Es umfasste nur eine für maximal dreißig Fahrzeuge ausgelegte Etage. Demnach konnte es nicht lange dauern, den Durchgang zu finden.
Unterdessen hatte Jack den hessischen Ministerpräsidenten begrüßt, seiner Gattin den reizenden roséfarbenen Sommerblumenstrauß überreicht und sich unter die illustre Gästeschar gemischt. Der Andrang beim diesjährigen Sommerfest der Landesvertretung war besonders groß. Mehr als zweitausend Besucher mussten es sein, die sich hier auf dem doch recht beengten Anwesen tummelten. Darunter waren prominente Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur und sogar die Kanzlerin persönlich. Auch zahlreiche Abgeordnete, Botschafter und Medienvertreter waren der Einladung gefolgt.
Das Multitalent Jack aber war trotzdem gelangweilt, verabscheute er doch diese Art von Empfängen abgrundtief. Ein wenig Small Talk hier und ein paar geheuchelte Komplimente dort – das war nichts für ihn.
»Guten Tag, sehr verehrte Frau Bundesfamilienministerin, wie schön, Sie zu sehen! Sie sehen heute wirklich umwerfend aus in Ihrem schwarzen Kostüm«, log er charmant; in Wirklichkeit fragte er sich indes, wie einfalls- und geschmacklos es war, bei einem solchen Anlass ein schwarzes Kostüm zu wählen.
Selbstverständlich war die Bundesfamilienministerin keine schöne Frau. Dazu sah sie viel zu verbissen aus mit den schmalen Lippen und den Gesichtszügen, die mit ihrem beruflichen Aufstieg zunehmend maskuliner geworden waren. Ihre Augen, die ihren natürlichen Glanz verloren hatten, blickten kalt, berechnend und unnahbar auf ihren Gesprächspartner herab. Trotz ihrer betont weichen Frisur mit den Wasserwellen im Stil der zwanziger Jahre hatte es ihr Stylist nicht geschafft, aus ihr das zu machen, als was sie wohl gerne erschienen wäre: eine elegante Frau, die von Männern und Frauen gleichermaßen für ihren Stil, ihren Geschmack und ihre Schönheit bewundert wird.
Aber was soll’s, besann sich Jack. The Show must go on!
Und er fuhr fort mit den »wahren Lügen«.
»Ihre letzte Rede hat mir wirklich ausgesprochen gut gefallen, wie Sie sich für die Bedürfnisse der alleinerziehenden Mütter eingesetzt haben – das ist alle Anerkennung wert.«
Solche Worte kamen ihm nur schwer über die Lippen, widersprachen sie doch seiner Auffassung von Wahrhaftigkeit und Offenheit. Umso mehr gegenüber der Bundesfamilienministerin – einem jungen Politküken, das bisher lediglich durch Ehrgeiz und weniger durch Taten aufgefallen war. Eine, die sich immer und überall in Szene gesetzt und keine Kamera ausgelassen hatte, die ihr die Chance bot, sich zu präsentieren. Ein wenig zu narzisstisch, die junge Dame. Aber so waren wohl die meisten der Kollegen hier. Man konnte ihn spüren, diesen Höhenrausch der Politik, dem sie alle verfallen waren.
Was hatte er einmal gelesen? Politik könne kombiniert mit Macht, Geld, Erfolg und Öffentlichkeit zu einem komplexen Suchtsyndrom werden. Und diese Droge konnte einem die seelische, geistige und körperliche Gesundheit ruinieren.
Aber Jack war in seiner Persönlichkeit gefestigt genug, sodass ihm diese Drogen und oberflächlichen Statussymbole nichts anhaben konnten.
War er das wirklich? Oder glaubte er es nur?
Egal!
Also gut, da musste er jetzt wohl durch. Das waren eben die sogenannten Schattenseiten, die er bei seiner Politiklaufbahn in Kauf nehmen musste: die Verlogenheit und dieser oberflächliche Quatsch.
Der einzige Lichtblick für ihn war in diesem Moment das Jazzquartett »Move Jazz« mit einer jungen afroamerikanischen Sängerin, die echte Klasse hatte. Sie brachte die Luft und die Herzen zum Swingen mit ihrer souligen Stimme.
Aber keiner der Anwesenden schien das wirklich zu registrieren oder gar ein Ohr für den tollen Sound zu haben. Sie hatten alle nur Augen für
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