Die Lust des Bösen
dunkel geworden. Die Nacht legte sich über Berlin, und in der Ferne hörte man die Sirene eines Notarztwagens, der sich durch den Verkehr kämpfte.
Diese Stadt schlief eben nie. Zu jeder Tages- und Nachtzeit pulsierte hier das Leben, und Lea liebte es. Sie hätte sich nicht vorstellen können, in dem kleinen, ruhigen Rapperswil-Jona bei Zürich zu leben, wo sie aufgewachsen war und es so viel beschaulicher zuging. Sie wollte Leben spüren, und das bot eben nur eine Metropole wie Berlin.
Sie hatte die Wohnungstür noch nicht ganz geöffnet, als Arthur schon an ihr hochsprang.
»Na, mein Lieber«, begrüßte sie den ungestümen Vierbeiner, der den ganzen Tag wieder mit ihrem Nachbarn im nahegelegenen Park herumgetollt war, »jetzt hast du dir aber ein Leckerchen verdient, oder?« Und wie zur Bestätigung schaute er sie mit seinen treuen Hundeaugen an, denen sie nie widerstehen konnte. Er wedelte mit dem Schwanz, als wolle er sagen: »Jetzt gib schon her. Red nicht so lange.«
Inzwischen hatte sie laut knisternd ein leckeres Schweineohr aus der Verpackung gezaubert und hielt es ihm vor die Nase. »Na, ist das etwas Feines? Mach schön Sitz.«
Arthur setzte sich auf seine Hinterpfoten und hypnotisierte das Leckerli. Ein wenig Sabber lief ihm jetzt die Lefzen hinunter .
»Da hast du es.« Lea hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als ihr Hund gierig, aber dennoch zart nach dem Ohr schnappte, immer vorsichtig, als ob er darauf bedacht war, ihre Hand ja nicht zu verletzen. Dann trug er es hinüber zu seinem Körbchen und fing an, seine Beute zu bearbeiten.
Ihm schien es zu schmecken, aber was sollte Lea machen? Eigentlich hatte sie überhaupt keinen Hunger nach diesem Horrortag, aber wenigstens eine Kleinigkeit sollte sie wohl schon essen. Vielleicht eine Portion Sushi? Nichts leichter als das, sie nahm den Telefonhörer und rief den Lieferservice an.
Während sie auf das Essen wartete, pinnte sie ein paar der Fotos, die sie im Bunker gemacht hatte, an ihre Flipchart und betrachtete die Aufnahmen. Die Bilder, die sie gesehen hatte, ließen sie nicht mehr los. Warum hatte der Täter die Leiche ausgerechnet unter dem Gemälde der blonden Frau platziert? Was hatte der Fundort mit dem Täter zu tun?
Das Klingeln des Sushi-Services riss sie jäh aus ihren Gedanken.
Während sie sich die Fischhäppchen schmecken ließ, erinnerte sie sich wieder an Carlson und seine Ausführungen über die Bedeutung des Fahrerbunkers. Ihr kam ein Gedanke. Sie nahm das Telefon und rief den Vorsitzenden des Unterwelten-Vereins an. Sie wusste, dass das angesichts der Uhrzeit eine verrückte Idee war. Aber sie zögerte keine Sekunde, denn wenn sie etwas in ihrem hübschen Kopf hatte, dann musste es jetzt und sofort umgesetzt werden, egal, wie spät es war. Und vielleicht brachten ihr seine Erklärungen die nötige Inspiration, die ihr im Augenblick noch fehlte. Der pensionierte Richter stimmte unerwarteterweise sofort zu, sie in einer halben Stunde abzuholen.
Als sie im Bunker ankamen, war es nach Mitternacht. Mit ihren Taschenlampen konnten sie zwar einigermaßen sehen, dennoch war die Atmosphäre unheimlich wie in einem jener alten Häuser, die schon lange Zeit leer standen und wo Besucher von merkwürdigen Geräuschen berichteten und einem Gefühl, als ob die Geister der einstigen Bewohner sie anstarrten.
Lea lief es kalt den Rücken hinunter. Eigentlich war sie kein ängstlicher Typ, aber hier fühlte sie sich ausgesprochen unwohl. Sie schlug ihren Mantelkragen hoch, als ob sie das vor den Blicken der Geister und der Kälte in dem Bunker schützen würde.
»Mir ist auch immer etwas mulmig, wenn ich hier unten bin«, meinte Carlson. »Und glauben Sie mir, Frau Lands, ich mache diesen Job hier schon ein paar Jährchen.«
Er lächelte sie beruhigend an, und Lea war in diesem Augenblick froh, dass er bei ihr war.
Noch immer konnte sie hier, in einer Tiefe von zwanzig bis achtzig Metern, spüren, wie unangenehm es gewesen sein musste, in den engen Räumen der Bunkeranlage eingezwängt zu sein, mit dem steten Surren der Lüftungsanlage und dem Dröhnen der Bombergeschwader über den Köpfen. Zwar waren heute nur noch das Rattern der U-Bahn und ihre eigenen Schritte zu hören, doch als sie die Hinweisschilder sah, kam es ihr so vor, als wäre in diesen Tunneln die Zeit stehengeblieben. Sie konnte geradezu die Ängste der Menschen spüren, die einst hier auf Schutz gehofft hatten. Lea versuchte ihre Gedanken auf das Hier und
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