Die Lust des Bösen
auskosten zu können, da sie dies sehr wohl sehen und auch registrieren konnte.
Noch einmal schaute sich Lea die Fotos vom Fundort der Leiche an. Alles war perfekt inszeniert. Aber was sie besonders beschäftigte, war die Frage, warum der Täter ausgerechnet achtzehn rote Rosenblätter um das Opfer herum drapiert hatte.
Warum ausgerechnet rote Rosen? Die Farbe war schon immer die des Feuers und des Blutes.
Im Hebräischen hatten die Worte Blut und Rot gar den gleichen Ursprung: Der Ausdruck für Rot war »adom« und der für Blut »dam«. Beide Begriffe besaßen sowohl eine positive als auch eine negative Besetzung. Sie standen für den Hass, den Krieg, die Aggression und für Blutvergießen, aber ebenso symbolisierten sie auch die Kraft, die Liebe, die Wärme und die Leidenschaft.
Der biblische Adam wurde aus roter Erde geschaffen. In frühen Kulturen wurde das dunkle Rot des Blutes auch dem Weiblichen zugeordnet.
Was also wollte der Täter mit der Wahl dieser Farbe signalisieren? Ging es ihm um das Weibliche, oder ging es ihm darum, seine Aggressionen auszuleben? Ging es ihm um Hass oder schlicht darum zu zerstören? Und die Rose?
War sie nicht die Blume der Weisheit und des klaren Geistes? In den Augen der Alchimisten, das wusste sie aus einem Roman ihres Lieblingsautors Coelho, symbolisierten die leicht gefüllten Rosen mit sieben Blattreihen die sieben Planeten mit den dazugehörigen Metallen und das geheime Wissen. Noch immer stand diese Blume deshalb vor allem Esoterikern und Mystikern sehr nahe.
Aber warum waren es achtzehn und nicht sieben Blätter, und warum waren sie symmetrisch angeordnet, überlegte Lea.
Waren es nicht gerade symmetrische Formen und Muster in der Natur und in der Kunst, die die Menschen immer wieder mit ihrer ganz besonderen Ästhetik bezauberten?
Erst kürzlich hatte eine Studie gezeigt, dass es gerade symmetrische Gesichter waren, die Menschen als besonders schön und anziehend empfanden. Aber kam Symmetrie wirklich nur in der Natur und in der Kunst vor? Symmetrie hatte doch auch stets in der öffentlichen Inszenierung diktatorischer Regime große Bedeutung.
Ja, natürlich! Sie griff sich an die Stirn. Symmetrie war doch auch ein Hauptmerkmal der Inszenierungen der Nationalsozialisten. Noch gut erinnerte sie sich an Bildaufnahmen von historischen Aufmärschen vor dem Reichstag, die sie einmal gesehen hatte. Dort konnte man die inszenierte Geometrie und Symmetrie beobachten. Menschenblöcke, Fahnenbanner, so weit das Auge reichte, Lichtdome und Monumentalarchitektur ließen das totalitäre Regime für den Zuschauer als unbezwingbar erscheinen.
Genau: Unbezwingbar! Möglicherweise wollte auch der Täter so sein und hatte mit seinem Opfer in gewissem Sinne die Symmetrie des Naziregimes nachgestellt. Vielleicht hatte das bei ihm eine enorme Genugtuung ausgelöst – ein Gefühl von Größe und Bedeutung, das er sonst im Leben nicht hatte. Bei seiner Inszenierung konnte er sich einmal wichtig und mächtig fühlen.
Ein Blick auf ihre Uhr verriet Lea, dass es Zeit war. Sie musste sich beeilen, denn die Pressekonferenz sollte in fünf Minuten beginnen.
»Frau Lands«, rief einer der geladenen Pressevertreter wenig später aufgeregt, »haben wir es hier vielleicht mit einem Serientäter zu tun?«
»Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht abschließend beantworten. Aber eines steht für mich fest: Er ist mit einer kranken Leidenschaft vorgegangen, die darauf schließen lässt, dass er eine tiefe Befriedigung aus seiner Tat erfahren hat. Es könnte also durchaus möglich sein, dass er dieses Gefühl der Befriedigung wiederholen möchte, indem er alles an einem weiteren Opfer reproduziert. Ich würde es jedenfalls nicht ausschließen, dass es sich um einen Serienmörder handeln könnte.«
»Ist es wieder so eine kranke Bestie wie der, der erst kürzlich hier gewütet und einige Mädchen, noch halbe Kinder, umgebracht hat?«
Die junge Profilerin zögerte bei der Beantwortung dieser Frage ein wenig.
»Wissen Sie, ich wäre sehr vorsichtig mit solchen Typisierungen. Denn ein Serienkiller oder überhaupt ein Mörder ist nicht per se durch bestimmte Merkmale signifikant von anderen zu unterscheiden. Vielmehr«, dozierte sie weiter, »gehört auch das radikal Böse, nicht anders als das Gute, zur Conditio humana und zu dem, was es auch bedeuten kann, Mensch zu sein. Das sollten wir nie vergessen, meine Damen und Herren der Presse.«
»Erklären Sie uns doch einmal, Frau
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