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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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hatte. Was sollte sie nun sagen? Dass sie nicht viel wusste?
    »Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu sagen«, begann sie, um sich noch etwas Zeit zu verschaffen. Neue Erkenntnisse würde ihr die Pause allerdings nicht bringen.
    »Wir können bisher mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass der Täter männlich ist, denn wir haben Spuren von Sperma am Opfer gefunden. Vermutlich ist er Anfang bis Mitte vierzig und beruflich nicht sonderlich erfolgreich.«
    »Was bedeutet das genau?«, wollte einer der Pressevertreter wissen.
    »Nun, vermutlich ist unser Täter ein Mitarbeitertyp, der in einem Beruf ohne Verantwortung arbeitet, für den man keine höhere Schulbildung braucht. Das lässt sich aus dem Tathergang schließen, der auf ein mangelndes Selbstbewusstsein, ein Gefühl von Ohnmacht und auf eine fast schon panische Angst vor Menschen schließen lässt. Kein Beruf also, für den er hart arbeiten oder gar lernen muss, mit Menschen umzugehen, denn das scheint etwas zu sein, das er wohl auf jeden Fall vermeiden will.
    Vermutlich arbeitet er in einem Job, in dem er möglichst wenig kommunizieren muss. Wir gehen davon aus, dass er ein Einzelgänger ist, der im Laufe seines Lebens schon viele Frustrationserlebnisse hinter sich gebracht hat und zu jenen Tätern zählt, die keine pathologische Persönlichkeit aufweisen, aber auch nicht als psychisch unauffällig gelten dürften. Hier spricht man von sogenannten akzentuierten Charakteren, also solchen, die im Normbereich liegen und auch keinen Krankheitswert im Sinne einer klinischen Diagnose haben. Meistens sind es Menschen, die sich diskret verhalten, sich hinter einer freundlichen Fassade verschanzen und im Verborgenen mit ihrem Schicksal hadern.
    Der brisanteste Wesenszug aber, meine Damen und Herren«, Lea machte an dieser Stelle eine Pause, um die Wichtigkeit ihrer Aussage zu unterstreichen, »ist die fehlende Empathie.« Es mangele dem Täter an der Fähigkeit und der Bereitschaft, sich in die Befindlichkeit anderer Menschen einzufühlen. Es gäbe keine emotionale Bremse, erläuterte sie. Die Opfer seien für ihn Mittel zum Zweck, würden versachlicht – es seien keine Menschen mehr, die er töte, sondern Objekte, an denen er seine Bedürfnisse auslebe.
    »Und, meine Damen und Herren«, fuhr sie fort, »Täter, die keinen Anteil nehmen können, sind auch für das körperliche und seelische Leid ihrer Opfer nicht empfänglich. In diesem Sinne sind sie gefühlstaub, für sie existiert kein Tötungstabu. Ebenso charakteristisch für sie sind fehlende Scham und Reue. Das heißt aber nicht, dass unserem Mann die Leiden der Opfer gleichgültig sind. Vielmehr ist es so, dass er jede Regung genauestens registriert und darauf reagiert. Doch bei ihm rufen die Qualen kein Mitleid hervor wie bei jedem anderen normalen Menschen, nein, bei ihm provozieren sie genau das Gegenteil: Hochgefühle von Macht, Überlegenheit und Unbesiegbarkeit. Häufig ist es so, dass diese Täter ihre aggressiven Neigungen auf bestimmte Personengruppen – wie beispielsweise blonde Frauen mit blauen Augen – richten, mit denen sie belastende, frustrierende oder erniedrigende Erfahrungen verbinden.«
    »Frau Lands, wie müssen wir uns sein Tötungsmuster vorstellen?«, erkundigte sich einer der Journalisten.
    »Wissen Sie, bei Serienmördern kommt es immer entscheidend darauf an, dass bestimmte Teilstücke ihrer imaginären Tötung – das heißt: ihrer Fantasie – der Realität entsprechen.
    Dazu gehört, dass alles in einer bestimmten Art und Weise passieren muss, weil der Täter sonst sein gewünschtes Erregungsniveau nicht erreichen kann. Häufig denken sie sich in Träumereien über das Quälen und schließlich Töten von jungen Frauen hinein und ziehen sich immer mehr von der Umwelt zurück. In ihren sexuellen Fantasien spielt der Gedanke an normale Liebesbeziehungen und an Geschlechtsverkehr nur noch eine untergeordnete Rolle. Sie beschränken sich auf das Quälen und das Erregen von Angst. Wenn es sich also bei unserem Täter um einen Serienmörder handelt, wird er wohl immer wieder nach dem gleichen Muster vorgehen. So, meine Damen und Herren, das ist leider alles, was wir zum derzeitigen Zeitpunkt sagen können. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.«
    Erst jetzt bemerkte sie Hausmann, der ihre Ausführungen gespannt verfolgt hatte. Er nickte, denn er wusste, dass sie auf dem richtigen Weg war.

    Lea hatte einen langen Tag hinter sich. Als sie endlich nach Hause kam, war es schon

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