Die Lutherverschwörung - historischer Roman
den Teller vom Tisch und hielt ihn Luther hin. »Dann iss endlich etwas, damit dir gute Gedanken kommen.«
Zu Josts Ãberraschung nahm Luther den Teller entgegen und stellte ihn auf seine Oberschenkel. Er griff nach einem Stück Schinken. Vielleicht war er einfach zu müde, um noch länger zu widersprechen. Zunächst aà er zögerlich, aber dann putzte er mit einem wahren HeiÃhunger den ganzen Teller leer.
Jost habe ihm einen Gefallen getan, sagte er schlieÃlich, er fühle sich schlagartig besser. »Meine Mutlosigkeit ist wie weggeblasen. Was so ein wenig Brot und Wurst bewirken können. Man sollte diesen einfachen Dingen einen Altar errichten!«
Jost lachte. »WeiÃt du, dass das schon immer mein groÃer Traum war: einen Altar stiften.«
»Meinst du das im Scherz?«
»Nein, das ist mein völliger Ernst. Natürlich besitze ich das Geld nicht, aber falls ein Wunder geschehen sollte und ich es eines Tages zu Reichtum bringe, dann würde ich einen Altar stiften. Er würde sicher mehr als tausend Gulden kosten, denn ich weià von einem Altar in Nürnberg, der mir gefiel, dass er eintausendvierhundert Gulden kostete. Ich hätte auch schon einen Namen.«
»Wie soll er heiÃen?«, fragte Luther.
»Der Kains-Altar. Das Gemälde würde aus drei Teilen bestehen: auf dem linken Flügel die Geschichte von Kain und Abel, wie sie Gott ihre Opfer darbringen; im Mittelteil der Brudermord; rechts Kains Flucht, das Zeichen auf seiner Stirn, die Nachkommen. Das zentrale Stück aber ist der Brudermord. Ich habe nicht nur
einmal
getötet, sondern
vielmals
. Um die Wahrheit zu sagen, so weià ich nicht genau, wie viele Menschen ich getötet habe. Sicher, es ist mein Beruf, man kämpft immer im Auftrag eines anderen, Söldner lassen sich nicht mit Mördern gleichsetzen ⦠Und doch glaube ich, dass ich es mir zu einfach mache, wenn ich die Toten einfach von mir schiebe. Sie belasten mein Gewissen, sie erscheinen in meinen Träumen, ich erinnere mich sogar an ihre Gesichter.«
Luther legte ihm die Hand auf die Schulter. »Vergiss den Altar, Jost! Wenn du Vergebung suchst, so forsche im eigenen Herzen. Du bist jetzt so lange in meiner Nähe, das solltest du doch mittlerweile gelernt haben: Ein Altar ist etwas ÃuÃerliches, auch er fällt in den Bereich der guten Werke, siehst du das nicht? Nur bei Christus kannst du Erlösung finden.«
»Manchmal denke ich, meine Schuld ist bereits zu groÃ.«
»Deus caritas est. Gott ist Liebe. Was ist denn das Leben des Menschen? Es fliegt davon wie ein Vogel. Wir müssen ihm Sinn geben, dafür sorgen, dass es nicht umsonst war. Das kann nur in der Liebe geschehen. Kennst du den ersten Johannesbrief, Jost?«
»Nein.«
»Dort heiÃt es:
Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm
. Das ist der Kern des christlichen Glaubens. Ich weise bei jeder Gelegenheit auf die Macht des Glaubens hin, aber der Glaube und die Liebe sind eins, Jost, du kannst sie nicht trennen. In dem Johannesbrief heiÃt es:
Wir haben die Liebe erkannt, die Gott zu uns hat, und ihr geglaubt
. Die Liebe ist das Zentrum unseres Glaubens. Und im Evangelium des Johannes heiÃt es:
So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat.«
»Meine Güte, Martin, kennst du die ganze Bibel auswendig?«
»Die Stellen, die vom Glauben und von der Liebe handeln, kenne ich gut, weil sie das Herzstück bilden von meinem Verständnis des Christseins. Gott hat uns zuerst geliebt, die Liebe ist sein Geschenk an uns. Gottes Liebe ist so groÃ, dass Christus für uns am Kreuz starb. Und deshalb, Jost, darfst du, wenn du daran glaubst, auf Vergebung hoffen, auch wenn deine Schuld noch so groà ist und du nicht das Geld hast, einen Altar zu stiften. Das ist meine ganze Theologie! Hör auf, dich zu verdammen, denn wir sind aufgefordert, uns selbst zu lieben wie unseren Nächsten.«
»Eigentlich war ich gekommen, Martin, um
dich
ein wenig zu trösten.« Jost stand auf. »Ich verbringe die Nacht in der Kammer neben dir.«
K APITEL 39
Die Verhandlung war auf vier Uhr nachmittags angesetzt, aber die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Wulf war in ständiger Sorge, dass noch weitere Lieferungen ausstanden oder jemand ins oberste Stockwerk kommen könnte, um
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