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Die Lutherverschwörung - historischer Roman

Die Lutherverschwörung - historischer Roman

Titel: Die Lutherverschwörung - historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunnen Verlag
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etwas zu holen. Der Speicher diente zwar in erster Linie zur Aufbewahrung von Getreide, aber man lagerte hier auch andere Dinge. So standen in der Nähe des Fensters zwei Holzfässer, deren Inhalt Wulf nicht erraten konnte.
    Er reagierte hochempfindlich auf jedes Geräusch im Haus, besonders wenn er Schritte auf der Treppe hörte, beschleunigte sich sein Puls – aber bisher war es immer falscher Alarm gewesen. Für alle Fälle hielt er sich hinter einigen Getreidesäcken versteckt. Dann aber konnte Wulf der Versuchung nicht länger widerstehen, den Holzladen einen winzigen Spalt breit zu öffnen und nach draußen zu schauen. Das Licht blendete ihn; es war ein strahlend heller und sonniger Frühlingstag. Auf dem Domplatz und in den Gassen herrschte das für den Reichstag übliche geschäftige Treiben, das er bereits kannte. Er sah die spitzen Dächer und Rauch, der aus einigen Schornsteinen aufstieg. Über die Stadtmauer hinweg konnte er den Weg sehen, den er im Wagen der Schausteller zurückgelegt hatte; und weil er gerade an sie dachte, war es ein seltsamer Zufall, dass er sie am Rand des Domplatzes bemerkte, wo die Kinder Kunststückchen vorführten und Purzelbäume schlugen.
    All das spielte aber keine große Rolle, denn Wulfs Augenmerk galt vor allem dem gegenüberliegenden Dom und dem angrenzenden Bischofssitz, wo der Reichstag bereits zusammengekommen war. Die Fenster der Aula Major standen immer noch weit offen.
    Luthers Vorladung war der wichtigste Sitzungspunkt, trotzdem standen offenbar noch andere Themen zur Verhandlung; der Kaiser war momentan nicht persönlich anwesend, und in den Reihen der Kurfürsten standen drei Stühle leer, wie überhaupt, nach Wulfs Schätzung, höchstens die Hälfte aller Plätze besetzt war. Er zweifelte jedoch nicht daran, dass am Nachmittag kein Stuhl leer blieb – ja man würde noch weitere herbeischaffen, um dem Ansturm gewachsen zu sein. Beim Gedanken daran spürte Wulf eine starke Erregung. So musste vielleicht einem Schauspieler beim Betrachten der Zuschauerränge zumute sein, oder einem antiken Gladiator beim Gedanken an eine voll besetzte Arena.
    In diesem Moment begannen die Stimmen in seinem Kopf wieder durcheinanderzureden, so wie damals beim Mord am alten Brangenberg. Und wie immer in solchen Momenten war er nicht mehr eine Person, sondern viele. Wulf klappte den Laden schnell wieder zu und drehte den Kopf zur Seite. Er hatte etwas gehört, Schritte auf der Treppe. Das geschah nicht zum ersten Mal, aber es schreckte ihn jedes Mal auf. Diesmal war es kein blinder Alarm, denn die Schritte entfernten sich nicht, sondern sie kamen näher. Wulf schnappte seine Armbrust und versteckte sich hinter den Getreidesäcken.
    Schritte nun auf den Holzbohlen.
    Wulf wagte nicht, hinter seinem Versteck hervorzuschauen. Vollkommene Stille! Der Besucher schaute sich offenbar um. Hatte er etwas Verdächtiges bemerkt? Wulf überlegte, ob er etwas übersehen hatte. Den aufgeschlitzten Sack? Er hatte ihn zur Seite geräumt; aber da fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, den Laden wieder zu schließen, allerdings war das nur ein winziger Spalt. Nun setzten die Schritte wieder ein und bewegten sich offenbar schnurgerade auf ein Ziel zu. Wulf hörte ein Quietschen. Es musste wohl, so überlegte er, vom Laden kommen, genau wie er befürchtet hatte.
    Er konnte der Versuchung nicht länger widerstehen und schaute aus seinem Versteck hervor. Dort stand nicht einer der Hausknechte, wie er vermutet hatte, sondern Wladislaw, der Großvater, der ihn mittlerweile wie ein böser Geist verfolgte: Letztens hatte er sogar von ihm geträumt. Was hatte der Alte hier zu suchen? Weshalb schnüffelte er auf dem Speicher herum? Ahnte er Wulfs Nähe? Wie sollte das möglich sein? Wulf war nach dem Mord in der Kathedrale ein Gejagter, niemand konnte mit seiner Rückkehr auf den Kornspeicher rechnen, es sei denn … Irgendwie ging das nicht mit rechten Dingen zu.
    Er ahnt meine Nähe, er ist ein Teufel, ich muss ihn töten, was macht er dort am Fenster, süße Jungfrau, beschütze mich, leite meine Schritte! Luther ist ein Teufel, und dieser Mann dort ist ein Teufel! Großmutter erzählte mir immer vom Teufel … Wulf, bedenke, dass der Teufel listenreich ist, er verkleidet sich, erträgt Masken, dort, der Mann, er trägt eine Maske, er trägt die Maske eines alten Mannes,

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