Die Lutherverschwörung - historischer Roman
Geist eine Idee; plötzlich ahnte er, wie sich die Dinge entwickeln könnten.
Ihm fiel eines der Häuser auf, das die Nachbargebäude überragte, es wirkte wie ein Fremdkörper und musste einer reichen Familie gehören, die zum Stadtadel zählte. Solche Geschlechtertürme kannte Wulf nur aus Erzählungen, es gab sie in Italien, in der Toskana, so hatte er gehört, angeblich auch in Regensburg. Die Lage und die Höhe des Gebäudes waren für Wulfs Zwecke einfach ideal: Der Turm war vollständig aus Stein errichtet, in den unteren beiden Stockwerken wies er jeweils drei Fenster auf, im Stockwerk darüber nur zwei und im vierten und fünften nur eines. Ganz oben befand sich ein metallenes Hebegestell mit einer Rolle; mit Hilfe eines Seils lieÃen sich schwere Gewichte hinaufziehen. Wulf legte den Kopf in den Nacken, der Turm verwuchs förmlich mit dem Nachthimmel, und auf der Metallstange entdeckte er einen Vogel, der dort übernachtete.
In diesem Moment sah Wulf einen jungen Mann auf die Tür des Gebäudes zugehen, er zog die Brauen zusammen, zögerte kurz, dann eilte er ihm entgegen. Ob er hier wohne, fragte Wulf, woraufhin der Mann ihn von Kopf bis Fuà musterte. Wulf war tadellos gekleidet und vielleicht würdigte er ihn nur deshalb einer Antwort.
»Das Haus gehört meiner Familie.«
Sprach er mit dem Sohn des Besitzers? »Ich bin Kaufmann und habe eine lange Reise hinter mir«, sagte Wulf. »Sämtliche Herbergen sind belegt. Kann ich bei Euch unterkommen? Ich bin todmüde und stelle keine Ansprüche. Das einfachste Lager wird genügen.«
Der junge Mann rieb sich das Kinn. Das könne er nicht entscheiden, sie hätten bereits Gäste im Haus; aber er solle doch mitkommen.
Er öffnete die Tür und winkte Wulf, ihm zu folgen. Im Hausflur brannte eine Ãllampe und aus einer angelehnten Tür drangen Lichtschein, Stimmengewirr und der Geruch von gebratenem Fleisch. Wulfs Magen knurrte und zog sich schmerzhaft zusammen, denn er hatte seit Tagen kein vernünftiges Essen bekommen, die letzte warme Mahlzeit mochte eine Woche zurückliegen â ein einfacher Brei im Haus eines Bauern. Neben der Tür bemerkte Wulf eine steile, hohe Treppe.
Sie betraten einen Gastraum, in dem mindestens zwanzig Leute beim Essen saÃen und durcheinanderredeten. Wulf konnte den Bratengeruch kaum noch ertragen; wenn er auf die Holzteller schaute, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. In diesem Moment hätte er für ein Stück Fleisch alles gegeben. Er zwang sich, den Blick vom Essen zu wenden und betrachtete die versammelte Gesellschaft.
Am Kopf des Tisches saà ein Mann mit grau meliertem Bart, dessen Gesichtszüge denen des jungen Mannes ähnelten: das Familienoberhaupt. Er beugte den Kopf so tief, dass er fast im Teller hing, und aà hingebungsvoll mit beiden Händen, von denen Fett troff. Wulf beobachtete, wie er mit sämtlichen Fingern braune, knusprige Fleischbrocken in den überfüllten Mund schob, während er gleichzeitig ruckartig kaute. Der Patriarch, völlig in seine Tätigkeit versunken, bemerkte weder seinen Sohn, noch würdigte er Wulf eines Blickes. Die zierliche Person nebenan, die ihm mit einem Seitenblick, in dem Ekel mitschwingen mochte, beim Essen zuschaute, war seine Frau, vermutete Wulf. Eine dunkelgrüne, mit Goldfäden durchwirkte Haube bedeckte ihr hochgestecktes Haar. Ihr Teller war fast leer, ohne dass es schien, als habe sie etwas gegessen. Sie sprach kein Wort und Wulf bemerkte, wie ihr Blick ihn durchdrang. Er fühlte sich plötzlich sehr unwohl in seiner Haut und es kam ihm vor, als durchschaue sie seine Verkleidung.
Fünf oder sechs Männer am anderen Ende der Tafel mochten enge Freunde oder Verwandte der Familie sein; zwei waren wie Adlige gekleidet, die anderen nach Art der Kaufleute. Alle sprachen gleichzeitig und fuchtelten stürmisch mit den Händen in der Luft herum. Einer schlug seinem Nachbarn, der ihn am Wams packte, auf die Finger; ein anderer, der ununterbrochen redete, obwohl sein Mund mit Braten und Brot randvollgestopft war, lieà in kunstvollem Bogen Essensbrocken auf die umstehenden Teller rieseln. Ansonsten saÃen ein junges Paar am Tisch, ein alter Mann und viele Kinder. Wulf und sein Begleiter blieben neben dem Familienoberhaupt stehen, das aber nicht vom Teller aufschaute.
Seine Frau fasste den Patriarchen beim Arm. »Siegfried!«
Wie aus
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