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Die Lutherverschwörung - historischer Roman

Die Lutherverschwörung - historischer Roman

Titel: Die Lutherverschwörung - historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunnen Verlag
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und ihre Begleiterin stemmten schwere, rotbraune Krüge auf den Kopf und verschwanden in einem nahegelegenen Haus.
    Wulf rieb sich mit den Händen das Gesicht und schüttelte den Kopf, als könne ihm das helfen, denn es kam ihm vor, als hätte er gerade eine Vision gehabt. Schließlich zwang er sich zum Weitergehen, ehe die Fischer sein Verhalten verdächtig fanden. Er ging zum Stadttor und sah immer noch Hanna vor sich.
    Zum Rhein hin gab es zwei Tore mit Brücken, die zur Insel hinüberführten. Wulf wählte die schmalere der beiden. Vom Ufer aus bot sich ein Panoramablick auf die Stadt, deren Mauer aus einem älteren und einem neueren Teil bestand. Die Mauer, die den Stadtkern sicherte, war höher, wuchtiger und in kurzen Abständen von Türmen unterbrochen; rechts und links davon gab es eine niedrigere Mauer, mit nur zwei Türmen. Dahinter ragten die Dächer der Bürgerhäuser empor, vor allem aber die Türme der zahlreichen Kirchen und Klöster. Erst hier, von der anderen Rheinseite aus, sah man, wie viele es waren.
    Wulf war als Einziger von der Stadt zur Insel gelaufen, während umgekehrt drei Frauen zu Fuß sowie ein Pferde- und ein Eselskarren in Richtung Stadt unterwegs waren. Die frische Brise am Fluss belebte Wulf ein wenig. Er zog seine Mütze vom Kopf und ließ sich den Wind um die Ohren wehen. Ein tief beladenes Schiff lief auf den Hafen zu, die Wellen glitzerten silbern, und er beobachtete zwei weiße Schwäne, die auf ihn zuschwammen. Seit dem Sturm konnte er Flusslandschaften nicht wirklich genießen, und während er vorhin über die Brücke gelaufen war, hatte er sich sogar schwindlig gefühlt. Wulf wandte sich nach rechts und folgte einem schmalen Pfad.
    Ihm wurde bewusst, dass ihm während seiner Reise nach Worms zweimal Zweifel gekommen waren an dem, was er vorhatte: zunächst bei seinem Bruder, der eine Familie gegründet hatte und ein unauffälliges, aber zufriedenes Dasein führte; dann bei Johanna, die vom Zoll und der Gastwirtschaft lebte und ihn gerettet hatte. Die Vorstellung, bei ihr zu bleiben und sich von ihr bemuttern zu lassen, war geradezu verlockend erschienen … Aber er hatte diese Schwäche überwunden.
    Wulf näherte sich dem Ende der kleinen Insel. Hier gab es keine Häuser mehr, nur Bäume, Sträucher und Büsche; im feuchten Gras blühte es gelb und weiß, Pappeln und Weiden säumten das Ufer, in denen Vögel ihre Nester bauten. Er beobachtete Buchfinken, Meisen, Bachstelzen und Amseln und hörte ihrem Gesang zu. Auch ausgefallene Arten, die er nicht kannte, fielen ihm auf. Die Insel schien ein wahres Vogelparadies zu sein. Vor lauter Staunen vergaß er fast den Grund, weshalb er gekommen war. Wulf liebte die Natur und fürchtete sie zugleich, aber seine wenigen glücklichen Momente verdankte er ihr. Wenn die Natur einem Schmerzen zufügte, geschah es nicht aus Bosheit – bei Menschen war das anders.
    Wulf kam zu dem kleinen Feld, das er von seinem Speicherfenster aus bemerkt hatte. Auf frisch bearbeitetem Boden entdeckte er Tauben, die Samenkörner aufpickten und dabei gurrten. Der Geruch von frischer Erde vermischte sich mit dem des Flusses. Was er kurzzeitig für einen Menschen gehalten hatte, entpuppte sich als eine Vogelscheuche am Rand des Feldes: ein in den Boden gerammter Pfosten mit einer schmaleren Querlatte, auf der eine blaue, zerlumpte Arbeitsjacke hing und im Wind flatterte. Am oberen Ende des Pfostens hatte man mit Hilfe von Stroh und Schnüren einen menschlichen Kopf nachgeformt.
    Was wollte er mehr? Wulf nahm den Sack von der Schulter, öffnete ihn, holte seine Waffe hervor und befreite sie von der Stoffumhüllung. Er legte den Sack auf das Gras und breitete die Armbrust und das übrige Zubehör darauf aus, dann nahm er die Waffe auf und betrachtete im hellen Tageslicht, was er bisher nur im Fackelschein und Dämmerlicht gesehen hatte.
    Die modernen Armbrüste besaßen häufig einen stählernen Bogen, der als leistungsfähiger galt. Wulf hielt nicht viel davon, man musste nicht immer sein Fähnchen in den Wind hängen, denn der wehte morgen schon wieder aus einer anderen Richtung. Der stählerne Bogen besaß gewisse Vorteile, er war weniger witterungsanfällig. Für eine Bürgerwehr, die ihre Waffen lange lagerte, war das in Ordnung – aber für seine Zwecke vertraute er dem Hornbogen. Bärenreiter

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