Die Lutherverschwörung - historischer Roman
hätte schon ein grober, gefühlloser Klotz sein müssen, um nicht zu bemerken, wie sehr sie über Wulfs Flucht verärgert war, denn innerlich gab sie Jost die Schuld daran. Sie hatte ihren Wunsch, sich persönlich an Wulf zu rächen, zurückgestellt und Jost vertraut, er aber hatte ihr Vertrauen enttäuscht. Er hatte es versäumt, genügend Wachen um den Dom herum zu postieren. Jost ist eben doch nur ein dummer Söldner, hatte sie gestern gedacht. Heute schämte sie sich dafür.
Er musste im Johanniterhof sein, bei Luther; also ging sie dorthin. Ihn zu treffen gestaltete sich einfacher als erwartet, denn er stand mit zwei Söldnern am Eingang zur Herberge und wies alle Leute zurück, die mit Luther sprechen wollten. »Er will allein sein«, wiederholte Jost immer wieder. »Er hat sich auf seine Kammer zurückgezogen und ausdrücklich betont, dass er niemanden sehen und beten möchte.«
Anna hielt Abstand, weil Jost ziemlich beschäftigt war. Ständig kamen neue Leute, aber als Jost sie bemerkte, winkte er sie heran. Er beorderte noch einen Söldner vor die Tür und ging mit ihr in die Vorhalle.
»Schön, dass du kommst«, sagte er. »Ich dachte schon, du wärst abgereist.«
»Aber weshalb sollte ich Hals über Kopf abreisen?«
»Du warst wütend auf mich.«
»Nein, ich war nur â¦Â«
Sie schwieg und er sagte: »Du warst sehr, sehr wütend.«
»Ja, es ist wahr. Am liebsten hätte dich geohrfeigt.«
»Dann tuâs doch jetzt, vielleicht gehtâs dir dann besser.«
Anna schaute sich um, fasste ihn bei den Schultern, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund. Jost schaute sich ebenfalls schnell um.
»Wenn das so ist, bitte ich um Nachschlag â¦Â«
K APITEL 37
Die Schwestern hatten Wulf, der sie mit rührenden Pilgergeschichten unterhielt, ein Lager für zwei Nächte gewährt. Hier, ein Stück flussabwärts auÃerhalb der Mauern von Worms, verbrachte er einen ganzen Tag, um neue Kraft zu schöpfen â jenen Tag, an dem Luthers erste Verhandlung stattfand. Niemals würden ihn seine Verfolger hier finden. Wer konnte ahnen, dass ein Gesunder Unterschlupf im Hospital für Leprakranke suchte?
Wulf hatte keine Angst, sich anzustecken, weil Krankheiten die Folge von Sünde waren â und er fühlte sich frei davon. Sollte er doch welche begangen haben, würde die Schwarze Jungfrau seine Schuld tilgen. In der Nacht war sie ihm wieder erschienen, nachdem er Stunden kniend und dankend im Gebet zugebracht hatte. Sie hatte ihn aus aussichtsloser Lage errettet â aber andererseits hatte er Richard von Katzenelnbogen getötet. Allerdings nur, um ihre Ehre wiederherzustellen â und so wusch eine Hand die andere. Sie belohnte ihn, weil er ihr liebender, wohlgeratener Sohn war, und sie würde ihn auch weiterhin beschützen.
Mit den Kranken kam Wulf überhaupt nicht in Berührung. Die Menschen wussten ja gar nicht, wie es in einem Leprahospital zuging. Aber schon der Name genügte, um sie abzuschrecken und fernzuhalten.
Am frühen Morgen des übernächsten Tages, nachdem er neuen Mut geschöpft hatte, verabschiedete sich Wulf von den Schwestern. Sie wünschten dem frommen, gottesfürchtigen Mann, der auf dem Weg nach Basel war, von Herzen alles Gute. Die Oberin segnete ihn sogar. Er lief pro forma ein Stück flussaufwärts, dann machte er wieder kehrt. Sein Problem bestand nun darin, unbemerkt in die Stadt zurückzukehren. SchlieÃlich hatte er in aller Ãffentlichkeit einen Menschen getötet, und Hunderte von Gottesdienstbesuchern könnten sich vielleicht an sein Gesicht erinnern. Diesmal durfte er kein Risiko eingehen.
Wulf lief in einem weiten Bogen um die Stadt, dann sah er aus der Ferne eine StraÃe, auf der reger Verkehr herrschte mit Reitern und FuÃgängern, Fuhr- und Lastkarren. In der Stadt hielten sich momentan wahrscheinlich drei- oder viermal so viele Menschen auf wie sonst, die alle ernährt und versorgt werden mussten. Auf einer kleinen Anhöhe, nicht weit von der StraÃe, entdeckte er eine Linde mit einem mächtigen Stamm, wie das nur bei einzeln stehenden Bäumen der Fall ist. Wulf ging dorthin, setzte sich unter den Baum und lehnte den Rücken an die Rinde; er schlug die Beine übereinander, kaute auf einem Grashalm und beobachtete das Treiben auf dem Verkehrsweg.
Sein erster
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