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Die Lutherverschwörung

Die Lutherverschwörung

Titel: Die Lutherverschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Born
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glaubte, das Schiff versinke im Wasser, riss es eine Welle – höher als der Turm einer Kathedrale – wieder nach oben. Das Schiff bäumte sich auf wie ein Pferd. Auch die beiden Kameraden des Kapitäns waren verschwunden. Wulf schaute sich verzweifelt um. Die im Schiffsbauch gelagerte Ware hatte sich aus ihrer Befestigung befreit und schoss über das Deck. Einer der schweren Stoffballen schlug Wulf gegen das Bein, aber er spürte keinen Schmerz mehr, auch nicht in den Rippen. Er nahm seinen Körper nicht mehr wahr, während er um sein Leben kämpfte.
    Plötzlich erreichte der Bug den Wellenberg. Nachdem zuvor alles schwarz ausgesehen hatte, verwandelte sich nun die Welt in weißgrauen Schaum, dessen Zischen Wulf deutlich hörte. Sein Herzschlag stockte, weil das Schiff für einen Moment nach hinten zu kippen, sich zu überschlagen drohte, doch wie durch ein Wunder ritt es über den Wellenkamm und tauchte sofort auf der anderen Seite senkrecht nach unten. Stunden mochten vergangen sein oder nur wenige Augenblicke. Wulf hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
    Kaum zwei Hand breit von seinem Kopf entfernt schlug der schwere, völlig zersplitterte Quermast auf die Holzplanken des Decks. Wulf schrie in Todesangst auf. Dann begann das Boot auch noch seitwärts zu kippen, und er schloss die Augen. Schutzsuchend presste er seinen Kopf gegen den Mast. Er würde sich nicht mehr lange halten können. Als er die Augen öffnete, umklammerten seine Arme immer noch das Holz. Eines der Pferde erschien kurz neben der Bordwand: ein wiehernd aufgerissenes Maul mit unglaublich großen Zähnen. Wieder peitschte ihm ein Wasserschwall ins Gesicht. Hatte er das Pferd wirklich gesehen oder es sich nur eingebildet?
    Seine Kräfte schwanden. Einer seiner letzten klaren Gedanken war, dass er nicht mehr klar denken konnte. Er sah eine Frau auf sich zukommen. Das Bild ähnelte einer seiner Visionen von der Schwarzen Jungfrau, war allerdings undeutlicher und verschwommener. Er erkannte die Frau aus dem Wittenberger Badehaus, die er sehr begehrt hatte. Dann sah er sie nicht mehr, und auf einmal war sie wieder da, nur wenige Schritte von ihm entfernt. Er spürte den unwiderstehlichen Impuls, den Mast loszulassen, zu ihr zu gehen und sie zu umarmen. Erneut schlug ihm Gischt ins Gesicht. Die Frau war wieder verschwunden. Kam erneut zurück. Lass los, geh zu ihr! Sie lächelte ihm aufmunternd zu und öffnete die Hand in einer erwartenden, einladenden Geste. Irgendwo an den Grenzen zum Unbewussten riet ihm eine Stimme, noch zu warten.
    In den kurzen Momenten, wenn das Bewusstsein zurückkehrte, wurde ihm klar, in was für einer Gefahr er schwebte. Aber die Dunkelheit und auch die Sehnsucht nach dem Nichts waren so stark, dass er nicht wach blieb. Das ging hin und her, bis wieder etwas gegen sein Bein schlug und er sich fühlte wie jemand, den man aus tiefem Schlaf riss. Es kam ihm wie ein Wunder vor, dass er immer noch am Masten klebte und dass die Wellen das Schiff noch immer nicht verschlungen hatten. Er konnte sich sogar fragen, was da gerade mit ihm geschah. Das war ganz gewiss kein normaler Sturm, so etwas mochte es hier noch nie gegeben haben.
    Plötzlich kehrte der Wirbel zurück, dieser seltsame, vom Himmel bis zum Wasser reichende Schlauch. Wulf konnte sich nicht mehr halten, Wassergewalt packte ihn, trug ihn nach oben, gab nach und warf ihn so heftig herab auf etwas Festes, dass es ihm vorkam, als müssten sämtliche Knochen in seinem Leib nun gebrochen sein.
    Er war an Land, am Ufer! Doch schon brauste die nächste Welle heran und türmte sich gewaltig hinter ihm auf. Wenn er hier liegen blieb, würden die Wassermassen ihn zurück in den Fluss werfen. Fluss? Der Rhein kam ihm schon lange nicht mehr wie ein Fluss vor, sondern schien endlos, machtvoll und unberechenbar wie das Meer, das er jedoch nur von Erzählungen kannte. Wulf sprang auf und rannte los, fiel aber sofort wieder hin, weil ihm seine Beine nicht gehorchten. Er kroch weiter, da schlug das Wasser über ihm zusammen; in Todesangst streckte er die Arme aus und suchte nach einem Halt. Er bekam etwas zu fassen, und es gelang ihm, sich aufzurichten.
    Mit letzter Kraft kroch Wulf eine Böschung hinauf. Er fürchtete, ohnmächtig zu werden. Krampfhaft zwang er sich, die Augen offen zu halten – da sah er in einiger Entfernung ein Gebäude. Das musste die Zollstation sein. Dort musste Johannas Gasthof liegen. Wulf mobilisierte seine letzten Kräfte und ging schwankend auf das Haus

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