Die Macht der Angst (German Edition)
presste die Hand auf ihren bebenden Mund. »Oh, Kev. Du bist so süß. Ich weiß nicht, was ich mit dir tun soll.«
»Was du bisher mit mir getan hast, würde mir vollkommen reichen«, versicherte er ihr.
Sie unterdrückte ein Kichern und gestattete sich auch nicht, sich in den leidenschaftlichen Strudel eines weiteren Kusses ziehen zu lassen. »Lass uns ins Krankenhaus fahren und ihnen die Meinung geigen.«
Kev strahlte während der Fahrt tiefes Missfallen aus, aber als sie in der Klinikgarage parkten, legte er Edie fürsorglich seinen Mantel um die Schultern und nahm ihre Hand. Durch seine kraftspendende Energie fühlte sie sich wie ein neuer Mensch.
Sie bahnten sich ihren Weg durch das Labyrinth von Korridoren, an mehreren Rezeptionen vorbei, dann bogen sie in Richtung Intensivstation ab. Die Leute starrten sie an. Edie erhaschte in einem Fenster einen Blick auf ihr Spiegelbild und verstand, warum.
Ihr Haar war ein lockiges, wildes Durcheinander, ihre großen, von verwischter Schminke umschatteten Augen wirkten wie die eines spätnachts aufgegabelten Flittchens. Ihre Wangen waren von einem fiebrigen Dunkelrosa, ihre Lippen rot und geschwollen. Duftiger Chiffon quoll unter dem Saum von Kevs Mantel hervor. Sie sah aus wie ein Mädchen, das gerade von einem großen, tollen Mann auf dem Vordersitz eines Autos gevögelt worden war. Und Kev sah aus wie ein Gott. So groß, so perfekt. Sein Gesicht war ernst, seine grünen Augen strahlten wachsam. Weibliche Blicke erfassten ihn und blieben an ihm haften, unfähig, sich wieder zu lösen. Köpfe wurden nach ihm umgedreht, Körper folgten der Bewegung. Menschen blieben stehen, um zu sehen, wohin er ging.
Und er hielt ihre Hand. Ihre, Edies. Er verpflichtete sich ihr, bot ihr an, mit ihr durchzubrennen. Ihre Brust fühlte sich an, als würde sie aufgesprengt.
Welch seltsamer Gegenpart zu dem Knoten der Angst, der sich in ihrem Bauch formte, als sie um die Ecke bogen und sich ihrer gesamten Familie gegenübersahen.
16
Sein ganzes Leben oder zumindest den Teil, der ihm bekannt war, in einem Zustand verbracht zu haben, der auf eine emotionale Eiswüste hinauslief, hatte durchaus seine Vorteile, reflektierte Kev. Er wusste, wer er war, sofern ein körperlich zerschundener, hirngeschädigter, an Amnesie leidender Mensch das überhaupt von sich behaupten konnte, und er war im Reinen mit sich. Auf Ablehnung zu stoßen juckte ihn in etwa so sehr, als würde irgendwo ein Hund bellen. Es war genauso unwichtig. Sollten die Leute von ihm halten, was sie wollten. Es änderte nicht das Geringste an der Wahrheit.
Aber der eisige Wind, der ihnen entgegenschlug, verletzte Edie. Diese verdammten Arschgeigen gaben ihr einfach keine Verschnaufpause. Wenigstens dachte Kev das, bis sich ein junges Mädchen in einem lavendelfarbenen Kleid aus der Gruppe löste, auf Edie zurannte und sie fast von den Füßen riss, als sie ihr stürmisch um den Hals fiel.
»Veronica!«, blaffte eine dürre ältere Frau mit verkniffenem Mund. »Komm auf der Stelle hierher zurück!«
Es gereichte Veronica zur Ehre, dass sie die alte Hexe ignorierte und das Gesicht an Edies Schulter vergrub. Gut so. Kev hätte dem Mädchen am liebsten applaudiert.
»Es tut mir leid«, flüsterte Edie über den Kopf ihrer Schwester hinweg. Sie gestikulierte mit dem Kinn zu den anderen. »Das mit ihnen, meine ich. Wenn Blicke töten könnten.«
»Du kannst nichts dafür.« Er ließ ein knappes, trockenes Lächeln folgen. »Und mir gehen sie am Allerwertesten vorbei.« Kev nahm die Gruppe genauer in Augenschein. Die dünne, miesepetrige ältere Frau, die Veronica ausgeschimpft hatte, daneben eine pummelige jüngere, beide in Abendkleidern. Ein älterer Mann mit Brille. Zwei Bodyguards. Einer war ein großer, muskulöser Schwarzer, der andere dieser Gorilla ohne Stirn, der Edie an diesem Nachmittag chauffiert hatte. Der, der in seiner Gegenwart auf den Boden gespuckt hatte. Der, der es verdient hätte, ein paar Zähne zu verlieren.
Die hagere ältere Frau trat vor. »Ich glaube das einfach nicht«, begann sie. »Dein Vater steht an der Schwelle des Todes, und du bringst diese Person mit an sein Krankenbett? Hast du völlig den Verstand verloren?«
Edie atmete scharf aus. »Tante Evelyn, dies ist mein Freund, Kev Larsen«, sagte sie. »Kev, darf ich dir meine Tante Evelyn vorstellen?«
Ihre resolute Würde machte ihn stolz. Er nickte der Frau höflich in das zornrote Gesicht. »Nett, Sie kennenzulernen«, sagte er und hielt
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