Die Macht der Angst (German Edition)
sie. »Des musste heute Morgen zu diesem Meeting hetzen, darum haben wir es nicht mehr geschafft, die letzten Kisten aus dem Wagen zu holen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, rasch nach unten zu laufen und sie hochzutragen? Ich hatte hier auf Sie gewartet, weil ich Sie nicht verpassen wollte. In der Zwischenzeit könnte ich diese Laptops installieren und uns einen doppelten Arbeitsplatz einrichten, damit wir beide die Dateien durchsehen können. Das wird uns Stunden sparen.«
»Stunden?« Kev war unangenehm überrascht über die Aussicht, so lange hier festzusitzen. »Was meinen Sie, wie lange es insgesamt dauern wird?«
Cheung zuckte die Achseln. »Vielleicht Stunden. Vielleicht Tage. Ich habe sämtliche Papierunterlagen, die aus jener Zeit aufzuspüren waren, und sämtliche elektronischen Dateien, die ich downloaden konnte, zusammengetragen. Außerdem musste ich sie konvertieren, weil die Software steinzeitlich ist. Denken Sie, Sie könnten die beiden letzten Kisten holen?«
Kev versuchte, das Kribbeln in seinem Nacken zu identifizieren. Was konnte ihm diese Frau im schlimmsten Fall anhaben? Ihm ihren Pfennigabsatz ins Auge rammen? Ihn mit ihren perlweißen Zähnen blenden? Ausgeschlossen, dass sie irgendetwas mit seiner Geschichte zu tun hatte. Sie musste noch ein kleines Kind gewesen sein, als ihm passiert war, was immer ihm passiert war. Fünf, vielleicht sechs. Allerhöchstens acht. Wie Edie, die damals elf gewesen war. Und trotzdem war sie so anders als Edie. Kev konnte nicht anders, als Cheung mit ihr zu vergleichen, nachdem Edie sein liebster Maßstab war. Diese Frau war objektiv bildhübsch, trotzdem prallte ihre Schönheit an ihm ab, wohingegen Edies ihn tief in der Seele berührte. Edie war die Luft, die er atmete.
Kev fand einfach keine Erklärung. Hier lauerte keine Gefahr. Das Schlimmste, was die Frau ihm antun könnte, wäre, seine Zeit zu verschwenden, was immer noch ärgerlich genug wäre, weil er sich um wichtigere Dinge kümmern musste. Doch das wäre nicht ihre Schuld. Darum würde er sich bemühen, ihr höflich zu begegnen.
Cheungs Lächeln verblasste. »Ich kann selbst hinuntergehen, falls Ihnen das zu viel Mühe bereitet«, sagte sie. »Die Kisten sind sehr schwer, aber ich schaffe das schon.«
Ach, zur Hölle. »Ich hole sie«, entgegnete er. »Wo steht der Wagen?«
Ihre Miene hellte sich auf. »Oh, danke. Es ist ein weißer Hummer.« Sie warf ihm die Schlüssel zu. »Er parkt auf der Südseite dieses Gebäudes.«
Das war eine ganz schöne Macho-Karre für eine derart feminine Frau. Sie wirkte nicht wie der Typ, der gern durchs Gelände bretterte, aber manchmal konnte der Schein trügen. Kev schrieb eine SMS an Bruno und Edie, während er die Treppe hinunterlief. Sie würden sie nicht bekommen, solange sie nicht zum Felsplateau hochstiegen, aber indem er ihr eine Nachricht schickte, fühlte er sich ihr näher. Es wäre ihm lieber gewesen, sie nicht an Brunos Handy senden zu müssen. Er war zu befangen, um den Text so romantisch zu formulieren, wie er es gern getan hätte.
Gut im PF-Gebäude angekommen. Stapelweise Kisten. Liebe dich.
Der Hummer befand sich exakt dort, wo Cheung gesagt hatte. Im Kofferraum standen zwei große, metallbeschlagene Koffer. Kev schnappte sie sich, verwundert nicht nur über ihr enormes Gewicht, sondern auch darüber, dass der Inhalt nicht klapperte oder umherrutschte. Aus reiner Neugier versuchte er, sie zu öffnen, aber sie waren mit Zahlenschlössern gesichert. Hätte er die Zeit gehabt, hätte er sie vermutlich knacken können, aber er war sicher, dass Cheung bereits die Minuten zählte. Außerdem wäre es ein sinnloses Unterfangen. Das Rätsel würde sowieso schon bald gelöst werden. Er verriegelte den Wagen, dann hastete er zurück in die Lobby. Der Wachmann war verschwunden.
Cheung drehte sich um, als er eintrat, und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Sein Stichwort, hechelnd mit dem Schwanz zu wedeln. Kev tat es nicht. Ihr Lächeln erstarb.
Er stellte die Koffer neben ihrem Schreibtisch ab. »Hier, bitte.«
»Oh, danke! Kommen Sie, setzen Sie sich an diesen Computer. Ich habe die ersten fünf Dateien konvertiert und geladen, Sie können also anfangen, durch die Unterlagen zu scrollen. Vielleicht kitzelt ja irgendetwas Ihr Gedächtnis.«
Kev beugte sich vor und spähte auf den Monitor. »Was ist das?«
»Dies sind Ostermans Forschungsnotizen von 1990 an. Wenn ich mich nicht irre, entwickelte er damals eine Serie von Drogen, um
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