Die Macht der Angst (German Edition)
Mit-diesem-Szenario-stimmt-etwas-nicht-Sensoren schlugen an, aber Kev hatte noch immer keine Idee, wie das Szenario eigentlich sein sollte. Er hatte keine Mustervorlage für diese Situation.
Er schob die Hand in seine Jacke und strich über seine SIG . Die Glock steckte in seinem hinteren Hosenbund und war damit schwerer zu erreichen.
Klick, klick, klick
. Pfennigabsätze klapperten über den schiefergrauen Granitboden, in dem winzige Glimmerpartikel funkelten. Eine Frau tauchte auf, blieb wirkungsvoll im Türrahmen stehen und nahm die Pose eines Models ein, indem sie eine Hüfte vorschob. »Mr Larsen?«
Kevs Gefühl, dass mit diesem Szenario etwas ganz und gar nicht stimmte, verstärkte sich. Verwirrt starrte er sie an. Die Braut sah nicht aus wie eine Neurowissenschaftlerin. Sie sah aus wie ein hoch bezahltes Callgirl. Nicht, dass Neurowissenschaft und Schönheit einander zwingend ausschlossen, aber wie hoch standen die Chancen? Ihr Gesicht war atemberaubend schön, ihre Haut makellos; ihre roten Lippen waren ein klassischer Schmollmund, ihre schrägen Augen kunstvoll mit dunklem Lidschatten akzentuiert. Ihr glänzendes schwarzes Haar hatte sie sorgfältig hochgesteckt. Ihr Begrüßungslächeln war so strahlend wie das einer Porzellanpuppe. Sie trug ein marineblaues Kostüm mit Schößchen an der Taille und einen kurzen Rock, der ihre langen, perfekten Beine betonte, dazu zehn Zentimeter hohe Absätze. Die Rüschen ihrer tief ausgeschnittenen weißen Seidenbluse blitzten zwischen ihrer strengen Jacke hervor und ließen jede Menge Dekolleté erahnen.
»Sind Sie Dr. Cheung?«, erkundigte Kev sich.
Sie streckte ihm ihre schlanke, blasse, mit langen, blutrot lackierten Nägeln bewehrte Hand entgegen und schüttelte seine, ließ sie jedoch nicht wieder los. »Ja, die bin ich.«
In der eintretenden Stille entzog er ihr seine Hand. Kev spürte, dass sie auf irgendeinen nervösen, schnoddrigen Kommentar wartete.
Also ehrlich, Sie sehen nicht die Bohne wie eine Neurowissenschaftlerin aus, hä, hä, hä
. »Wie geht es Ihnen?«, sagte er stattdessen.
Sie bedachte ihn mit einem Augenaufschlag, und ihr Lächeln wurde noch strahlender. »Gut, vielen Dank. Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen. Des hat mir Ihre Geschichte erzählt. Zumindest den Teil, der ihm bekannt ist.« Ein mitfühlendes Leuchten trat in ihre Augen. »Es ist unfassbar, was man Ihnen angetan hat. Und dass Sie auch noch Ihre gesamte Erinnerung einbüßen mussten. Einfach furchtbar. Ich kann mir nicht annähernd vorstellen, wie Sie sich gefühlt haben müssen.«
»Dann lassen Sie es.«
Sie blinzelte. »Verzeihung?«
»Stellen Sie es sich nicht vor«, sagte er. »Denn das können Sie nicht.«
»Nein?« Ihr Gesicht wurde verschlossen. Wie schockgefrostet. Dann ein weiterer Augenaufschlag, ein weiteres blendendes Lächeln, als hätte sie wieder auf Play gedrückt. »Bitte entschuldigen Sie. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
»Das sind Sie nicht.« Kev schaute sich um. »Wo ist Marr?«
»Oh, Desmond? Er wird ein wenig später zu uns stoßen. Er muss sich heute Vormittag mit Parrish treffen. Tatsächlich möchte er Ihnen mit diesem Termin die Gelegenheit verschaffen, sich dieses Zeug anzusehen, bevor wir es dem alten Adlerauge aushändigen müssen.« Cheung gestikulierte zu dem Kistenstapel. »Also, hier ist es. Des deckt Sie unterdessen. Heute Nachmittag wäre es zu spät gewesen.«
Und du zeigst dich nicht ansatzweise dankbar genug,
war der unterschwellige Vorwurf, den Kev wie eine Brandungswelle spürte.
Tja, schuldig im Sinne der Anklage. Aber er hatte nicht darum gebeten, dass sie für ihn den Kopf hinhielten. Also war Marr nicht hier. Kev verspürte eine vage Besorgnis wegen der unberechenbaren, potenziell gewalttätigen Stress-Flashbacks, die mit seinen Erinnerungen einhergehen konnten, sollte er auf welche stoßen.
Er hatte Edie nicht in seiner Nähe haben wollen, für den Fall, dass er einen weiteren Anfall erleiden sollte, aber auch Cheung verdiente diese Art von Ärger nicht. Sie konnte nicht älter als fünfundzwanzig sein. Gerade beugte sie sich in einem Neunzig-Grad-Winkel, der ihren sehr knackigen Hintern voll zur Geltung brachte, über ihren Schreibtisch und suchte etwas in ihrer Handtasche. Als sie sich aufrichtete, lächelte sie, als wäre sie eine Gameshow-Moderatorin und Kev hätte gerade einen Preis gewonnen. Sie hielt einen klimpernden Schlüsselbund hoch.
»Meinen Sie, Sie könnten mir einen Gefallen tun?«, fragte
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