Die Macht der Angst (German Edition)
und flüchten über das Nachbargebäude.«
»Und überlassen das Geschirr sich selbst«, folgerte Liv. »Sehr gut. Das klingt plausibel.«
»Aber wo sind sie jetzt?«, überlegte Sean. »Und wer ist hinter ihnen her?«
Ein eisiger Windstoß fuhr durch die Jalousie. Eine düstere Vorahnung ließ ihn frösteln. Plötzlich hatte er noch einen weiteren Grund, den er seiner langen Liste zwingender Argumente, warum sie Kevs Wohnung verlassen und in ihr kuscheliges Hotelzimmer zurückkehren sollten, hinzufügen konnte. »Lass uns abhauen«, sagte er. »Hier ist es nicht sicher.«
Liv folgte ihm ohne Widerrede. Sie hatte dasselbe unbehagliche Gefühl. Seine Frau hinter sich herziehend, schlüpfte Sean aus der Schlafzimmertür.
Das Gefühl baute sich zu etwas auf, das einer Panik nahe kam. Der Instinkt sagte ihm, dass er die Sache falsch eingeschätzt, sie verbockt hatte, weil ihm irgendetwas Wichtiges entgangen war.
Natürlich vibrierte just in diesem Moment das Handy in seiner Tasche. Zum Glück hatte er den Klingelton ausgestellt. Er zog es hervor.
Es war Davy. Da bemerkte er eine Bewegung unter sich. Die Eingangstür schwang lautlos nach innen.
Er zerrte Liv mit sich auf den Fußboden und drückte ihr die Hand auf den Mund.
Gesellschaft,
formte er tonlos mit den Lippen und schaute vielsagend zur Tür.
Zwei Männer linsten vorsichtig in die Wohnung. Sie trugen große Waffen. Mit den katzenhaften Bewegungen von Ninjas schlichen sie herein, und Sean saß fest, allein mit seiner Frau und dem kostbaren außerirdischen Shrimp, der in ihrem Bauch umherpaddelte. Seine einzige Verteidigung war ein lausiger Notfall-Revolver mit sechs Schuss Munition.
Er schaute zur Schlafzimmertür hinter ihnen, der einzigen Fluchtroute. Zu weit weg. Selbst wenn sie krochen, würde das Überwinden dieser Distanz die Aufmerksamkeit der Männer erregen. Er selbst trug gedecktes Grau und eine dunkle Jeans, aber Liv würde in ihrer knallroten Strickjacke vor den Backsteinwänden wie eine Pfingstrose herausstechen. Eine schwangere Pfingstrose.
Er schob Liv in Richtung Badezimmertür, die dank seiner vorherigen Inspektion von Kevs Sanitäreinrichtung zum Glück offen stand. Mit bleichem, verkrampftem Gesicht biss sie sich auf die Unterlippe und robbte seitlich ins Bad. Seine Amazonen-Königin gab keinen Mucks von sich.
Sean folgte ihr, indem er sich mit den Füßen voran rücklings über die schiefergrauen Badezimmerfliesen schob. Er tippte eine Nachricht an Davy.
Kevs Whg. 46 NW Lenox mit Liv. Gesellschaft. Hilfe.
Er schickte sie ab und steckte das Handy ein. Das Apartment seines Bruders war so verflucht riesig, dass er ein Gewehr bräuchte, um die Kerle von hier aus abzuknallen. Und jetzt saßen sie in der Falle. Es gab kein Entkommen. Er hätte es wissen müssen.
Kev war immer noch ein McCloud. Solche Scheiße war unvermeidbar.
Kev parkte auf der Rückseite des Gebäudes, das an seines grenzte. Sein sechster Sinn meldete sich lautstark, woraus er schloss, dass seine Chance, sich rein- und wieder rauszuschleichen, ohne einen Alarm auszulösen, verschwindend gering war. Sie waren wahrscheinlich bis heute Morgen hier auf der Lauer gelegen, um seine Rückkehr abzupassen, aber nachdem er ihnen ins Netz gegangen war, bestand eigentlich kein Grund, warum sie seine Wohnung weiterhin observieren sollten.
Es sei denn, sie hatten Ava gefunden. Was durchaus denkbar wäre.
Der Safe mit seinen falschen Identitäten war hinter einem verborgenen Schiebepaneel in seinen Kleiderschrank eingelassen. Es gab in seiner Wohnung noch zahlreiche andere Geheimverstecke. Er hatte sie im Zuge seiner Umgestaltungsmaßnahmen vor ein paar Jahren angelegt, einige befanden sich sogar außerhalb des Gebäudes. Zehntausend Dollar und ein gefälschter Ausweis waren in wasserdichtes Plastik eingeschweißt in einer Verteilerkasten-Attrappe, die an dem Laternenpfahl vor dem Haus installiert war.
Kev kletterte hinauf, löste die Box mit einem Stein und nahm sie an sich. Eine weitere befand sich hinter einem losen Backstein vor seinem Schlafzimmerfenster, den er als Schutz gegen die Feuchtigkeit mit Kitt abgedichtet hatte. Diese Box würde er ebenfalls holen.
Er hatte geglaubt, dass es paranoid bis an die Grenze einer ausgewachsenen Psychose war, als er die Verstecke und ihre Inhalte präpariert hatte. Er hatte den Impuls damals nicht verstanden und es auch gar nicht versucht. Sein einziges Bestreben war gewesen, das Allernotwendigste parat zu haben und die Flucht
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