Die Macht der Angst (German Edition)
die zweite Tür links.«
Während sie die Treppe hochstiegen, musste Ava sich ein Lachen verbeißen, als sie Evelyns Wortwahl rekapitulierte. Sie würden etwas mit ihr anfangen können. Oh ja, das würden sie.
Des schaute sie ungehalten an. »Nimm dich zusammen, Ava.«
Sie klopften an Ronnies Tür, und sie wurde einen Spalt geöffnet. Die Haare des Mädchens erinnerten an ein Rattennest, sein Gesicht war verquollen vom Weinen. »Was wollen Sie?«
»Dürfen wir reinkommen und mit dir reden, Ronnie?«, fragte Des freundlich.
Sie setzte eine mürrische Miene auf. »Nein.« Sie drückte die Tür zu, aber Des klemmte den Fuß in den Spalt. »Du musst uns sagen, wo Edie ist. Sie schwebt in Gefahr.«
Ronnie verdrehte die Augen. »Kein Scheiß, Sherlock?«
»Dann solltest du uns helfen«, sagte Ava streng. »Bevor sie den Leuten in die Hände fällt, die deinen Vater auf dem Gewissen haben!«
Ronnie funkelte sie an. »Edie kommt schon zurecht. Sie wird ihren Namen reinwaschen, und den ihres Freundes gleich mit. Dann werdet ihr alle begreifen, was für Volltrottel ihr wart. Und jetzt verpisst euch!« Sie trat Desmonds Fuß aus dem Türspalt.
Rums,
krachte die Tür ins Schloss.
»Diese freche Rotzgöre«, fluchte Des.
»Möchtest du den Plan doch noch mal überdenken?«, gurrte Ava. »Sollen wir auf die Chance warten, diesem hochnäsigen Balg eine Lektion zu erteilen?«
Seine Augen blitzten; er schien in Versuchung zu geraten. »Lenk mich nicht ab«, warnte er sie. »Ich muss mich beeilen. Edie ist abgehauen, um nach den Kisten in der Bibliothek zu sehen.«
Avas Augen weiteten sich. »Oh!«
»Ja. Dreißig Boxen voller Papierschnipsel werden nicht gut aussehen. Aber wenn ich es dorthin schaffe, bevor sie es tut, oder wenigstens bevor sie die Polizei …« Des brach ab.
»Worauf wartest du? Dann los!«, fuhr sie ihn an.
»Du bleibst hier, in ihrer Nähe.« Er nickte zu Ronnies Tür und gab Ava die Tasche, in der sich die Sklavenkrone und die mit X-Cog 19 gefüllten Spritzen befanden. »Lass sie nicht aus den Augen.«
Damit ließ Des sie im goldenen Käfig der Parrish-Prinzessinnen zurück. Ava starrte noch eine Weile auf Ronnies Tür, dann schlenderte sie den Flur hinunter.
Sie linste in das nächste Zimmer und knipste das Licht an.
Die Deckenleuchten dimmten langsam zu ganzer Strahlkraft hoch und erhellten ein luxuriöses, von Bücherregalen gesäumtes Zimmer mit einem teuren cremefarbenen Wollteppich und einem Himmelbett mit einer flauschigen Tagesdecke. Direkt angrenzend befand sich ein Bad mit einer riesigen Dusche und einer Hydromassagewanne. Ava erhaschte einen Blick auf ihr Spiegelbild und schaute sofort weg. Sie sah so jung und verletzlich aus. So mitgenommen.
Wie damals, als Dr. O sie gefunden hatte. Sie war vierzehn gewesen, hatte in schäbigen Absteigen und Bordellen gewohnt. Sie war vor dem Lebensgefährten ihrer Mutter weggelaufen, der sie an seine Trinkkumpane verhökerte, und vor einer Mutter, die zu depressiv und alkoholsüchtig war, um sich dafür zu interessieren.
Ava sah sich in dem opulenten Raum um und dachte an die schlimmen Orte, an denen sie geschlafen hatte. Die Dinge, die sie getan hatte. Die Dinge, die man ihr angetan hatte.
Fortuna war ein heimtückisches Biest. Sie und Edie waren sich so ähnlich, dass es fast schon unheimlich war. Sie waren gleich alt, wiesen identische Testergebnisse auf. Und dennoch war Edie die auf Seidenkissen gebettete Prinzessin, während Ava in der stinkenden Gosse verkümmerte.
Auf der Kommode stand ein Schmuckkästchen. Ava durchstöberte es, aber es war nicht viel drin. Edie musste die guten Stücke mitgenommen haben, um sie zu versetzen. Also hatte sie nicht vor zurückzukommen. Hmm. Des sollte sich besser beeilen.
Ava durchsuchte die Schubladen. Die obersten waren mit Lingerie gefüllt. Hübsch. Nachdenklich nahm sie mehrere Stücke heraus. Nylonstrümpfe, Seidenstrümpfe. Tücher. Die würden sich später noch als nützlich erweisen.
Sie ging zum Kleiderschrank, riss ihn auf und erstarrte in Ehrfurcht. Bodenlange Designerroben. Ein Traum. Sie inspizierte die Labels.
Dior. Dolce & Gabbana. Milla Schön. Versace.
Sie streichelte die Stoffe. Satin und federleichte Seide. Unendliche Meter raschelnden, bauschigen Tafts. Das sinnliche Gewicht verschwenderischer Perlenstickereien auf Chiffon, das Glitzern von Halbbrillanten und Pailletten.
Ach! Und niemand verstand die arme, bedauernswerte kleine Prinzessin. Sie musste eine Show abziehen. Von zu Hause
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