Die Macht der Angst (German Edition)
und rannte über die Lichtung –
Wumm. Wumm
. Schüsse zerfetzten die Stille, Rindenstücke flogen wild umher. Kev warf sich zu Boden und robbte auf dem Bauch in Deckung. Der Wind trug das Papier trudelnd näher zu ihm. Sein Arm schnellte vor und fing es aus der Luft.
Sein eigenes grimmiges Gesicht starrte ihm daraus entgegen. Es war eine Linienzeichnung, die seine schroffen Züge, seinen breiten Mund, seine zornigen Augen wiedergab. Darüber stand ein krakeliges Wort.
BOMBE
Dann hörte er sie schreien.
Edie schlang die Arme um sich, um sich vor der eisigen Morgenkälte zu schützen, und presste das Handy unter ihrem feuchten, halb gefrorenen Haar an ihr Ohr. Es brannte wegen des toxischen Kontakts mit dieser vermeintlich freundlichen Stimme.
»Sieh nach unten, Edie. Im Fundament dieses Hauses ist ein Träger in den Beton eingelassen. Kannst du etwas erkennen?«
Sie zuckte angewidert zurück. »Oh Gott, da ist eine –«
»Sei still! Keine hastigen Bewegungen! Schau noch mal hin, du Idiotin!«
Edie gehorchte. Obwohl sie keine Schlangen mochte, zwang sie sich, sie anzugucken, bis … Moment mal. Es war gar keine echte Schlange.
Es war eine mechanische. Eine Roboterkonstruktion. Aus dunklem Metall. Sie wand sich um einen der Stützpfeiler des Hauses. Die schmale Schwanzspitze zeigte in die Luft, wie bei einer Klapperschlange. Die Roboterschlange hob langsam und anmutig den Kopf, neigte ihn keck zur Seite und guckte sie an.
Edie wich zurück. Das Gesicht war eine versenkte Kameralinse. Sie sah aus wie ein weit geöffneter, gieriger, silberner Schlund, wie ein gigantischer Bandwurm.
»Ist sie nicht fantastisch?«, fragte Des im Plauderton. »Zwei Meter lang, und sie kommt überall hin. An jeder Wärmebild- oder Infrarotkamera und jedem Bewegungsmelder vorbei. Sie gleitet mühelos durch Gestein und Schutt, dabei sendet sie Geräusche und Bilder an uns zurück. Sogar Wärmebilder. Auf diese Weise konnten wir dich durch die Hüttenwand beobachten, verstehst du? Und das Beste von allem … sie ist eine tickende Zeitbombe. Durch die Sprengstoffladung, mit der sie bestückt ist, wird sie zwar schwieriger manövrierbar, aber sie schlägt sich ganz wacker.«
Die Schlange löste sich von dem Träger und glitt mit geschmeidigen, raschelnden s-förmigen Seitwärtsbewegungen hinüber zu Edies Füßen.
Sie schlang sich um ihren Knöchel und drückte zu, dann blickte sie hoch und wackelte neckend mit ihrem Kamerakopf.
»Sieh nur«, murmelte Des. »Sie mag dich. Beweg dich nicht, Edie.«
Sie versuchte angestrengt stillzuhalten. »Hör auf«, wimmerte sie.
»Und jetzt achte genau auf meine Worte.« Die Schlange glitt von ihrem Bein herunter und rollte sich zusammen. »Dreh den Rücken zum Haus. Beug dich nach unten und heb die Schlange auf.«
Sie zögerte. Des schnalzte ungeduldig mit der Zunge.
»Edie«, ermahnte er sie. »Du bist dumm und langsam. Die Schlange ist die Bombe. Wenn ich den Knopf drücke, werdet ihr alle sterben. Ist es das, was du willst?«
»Nein«, flüsterte sie mit dünner Stimme.
»Nun, dann heb die Schlange auf.«
Edie biss die Zähne zusammen und tat wie geheißen. Die Roboterschlange war extrem schwer. Sie wand sich in ihrem Griff, als wäre sie lebendig.
»Spaziere vom Haus weg … langsamer. Immer geradeaus. Mäßige dein Tempo, Edie. Ja, so ist es gut. Schön langsam und gleichmäßig. Gib dich ungezwungen. Sieh zu den Bäumen hoch. Erfreu dich an der Schönheit der Natur. Bleib immer in Bewegung.«
Die gefrorenen Kiefernnadeln knirschten unter ihren Sohlen. Den Blick auf den Boden gerichtet, um nicht hinzufallen, setzte sie einen schlammbespritzen Turnschuh vor den anderen, während sie mit einer Hand das schaurige Ding umklammerte.
Edie kam aus den Bäumen heraus und auf eine Wiese. Sie kämpfte sich durch lange, geknickte Büschel erfrorener toter Gräser. Sie schlurfte weiter; ihr tat der Arm weh von der Anstrengung, die grässliche Schlange vor sich herzuhalten.
Sie erreichte das Ende der Lichtung. Am Waldrand standen geräuschlos Männer auf, die in ihren weißen und grauen Tarnanzügen wie bleiche Gespenster wirkten. Die Oberkörper von Panzerwesten geschützt und die Gesichter hinter Skimasken verborgen, starrten sie vor Ausrüstung und Waffen. Waffen, die auf Edie zielten. Viele Waffen.
Zitternd wie Espenlaub blieb sie stehen. Wartete. Zählte. Sechs, sieben … acht Männer.
Einer riss ihr die Schlange aus der Hand. Edie ließ ihren schmerzenden Arm sinken. Dann den
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