Die Macht der Angst (German Edition)
dich. Seit dem Tag, an dem du Patils Gesicht zerschmettert hast, habe ich dich nicht mehr so sehr aus dem Häuschen erlebt. Lass die Braut in Ruhe. Sie ist unwichtig. Du hast nicht das Recht, sie zu stalken, nur weil du sie appetitlich findest.«
Kev hechtete wieder auf ihn zu. »Gib mir das beschissene Handy!«
Bruno wich zurück. »Was hoffst du, durch sie in Erfahrung zu bringen?«
Kev hob die Schultern. »Keine Ahnung. Aber es kommt mir vor wie ein Omen. Zumindest ist es näher an einem dran, als ich es je erlebt habe.«
Bruno konnte seine Besorgnis nicht verhehlen. »Willst du damit sagen, so wie ein Zeichen von Gott? Soll das heißen, dass du im Ernst an dieses Zeug glaubst?«
Endlich gelang es Kev, ihm das Telefon zu entreißen. »Ich hab nicht den blassesten Schimmer. Aber es gibt eine Sache, an die ich definitiv nicht glaube.«
Bruno guckte ihn mit böser Vorahnung an. »Und die wäre?«
Kev öffnete die SMS , prägte sich den Inhalt ein und gab das Handy zurück. »Zufälle.«
5
Kevs Beine fühlten sich an wie Gummi, als er
Pirelli’s
betrat, die hippe Independent-Buchhandlung, die kürzlich im Zentrum eröffnet hatte. Er war viel zu früh dran für die Autorenlesung, die um halb drei stattfinden sollte. Er war zu nervös gewesen, um zu Hause zu warten, außerdem hatte er sich aus Brunos Reichweite halten wollen.
Sie hatten einen fragilen Waffenstillstand geschlossen. Genauer gesagt, hatte Kev Bruno begreiflich gemacht, dass einer von ihnen, wenn nicht sogar beide, im Knast oder in der Notaufnahme landen würde, sollte er versuchen, ihn davon abzuhalten, zu der Signierstunde zu gehen, oder auftauchen, um ihn dorthin zu eskortieren. Sie hatten vor zwei Tagen in dem Krankenhauszimmer gestritten, sie hatten heute Morgen gestritten. Sie hatten bei jedem Telefonat gestritten. Es gab keinen Mittelweg.
Er konnte den Standpunkt seines Bruders nachvollziehen. Edith Parrish auf den Zahn zu fühlen war pure Zeitverschwendung. Potenziell demütigend, wahrscheinlich riskant. Sie war zu jung, um irgendetwas mit seiner Vergangenheit zu tun zu haben. Daran ließ sich nicht rütteln. Aber dass er sie sehen wollte, war keine bewusste Entscheidung. Es war ein Impuls. Ein verzehrendes, tosendes Verlangen, dem mit Vernunft nicht beizukommen war.
Bruno hatte es im Krankenhaus versucht, aber seine Bemühungen waren bald in einen lautstarken Streit ausgeartet, wie es bei den Ranieris häufig vorkam. Tony hatte sich in das Wortgefecht eingemischt, und nachdem der Tropfständer umgestürzt, der Flüssigkeitsbehälter zertrampelt und der Tisch voller medizinischer Geräte umgekippt war, hatten zwei bullige Pfleger das Zimmer gestürmt und Bruno und Tony an die Luft gesetzt. Kev hatte man zu verstehen gegeben, dass er nicht länger als Patient im Legacy Emanuel Hospital willkommen sei. Dies gelte auch für die Zukunft.
Aber, hey, ein Mann musste tun, was ein Mann tun musste.
Mit diesem seltsamen nervösen Flattern im Bauch, an das er sich einfach nicht gewöhnen konnte, schaute Kev sich um, dann spazierte er den Gang mit den Zeitschriften entlang.
Motorcycles
,
Men’s Health
,
Fine Art & Furnishings
. Er entdeckte sein Spiegelbild in der Kaffeemaschine an der Bar und zuckte zusammen. Die Panorama-Sonnenbrille wirkte bescheuert, aber ohne sie konnte er kein fluoreszierendes Licht ertragen, außerdem verbarg sie den scharlachroten Fleck in seinem Auge. Und dann diese Haare, oh Mann. Da er sich nie entscheiden konnte, was weniger Aufwand erforderte, trug er das Haar seit Jahren abwechselnd lang oder stoppelkurz, aber bis zu der Episode bei den Schwalbenschwanzfällen hatte er es einfach wuchern lassen. Wenn er es offen ließ, schützte es ihn zu gut vierzig Prozent vor den neugierigen Blicken, die seine Narben auf sich zogen.
Für die Operationen hatten sie ihm jedoch den Schädel kahl geschoren. Die Haare waren kaum drei Zentimeter nachgewachsen, sodass sie in stacheligen Wirbeln von seinem Kopf abstanden, was ihm das Aussehen eines übergroßen Sting-Verschnitts verlieh. Selbst der lange Leinenmantel, den er aufgrund seiner unauffälligen Neutralität schätzte, wirkte zusammen mit dieser Frisur und dieser Brille wie eine Kostümierung. Wäre er nur nicht so verdammt groß. Kev unterdrückte das Bedürfnis, eine gebückte Haltung einzunehmen. Das machte einen hochgewachsenen Mann auch nicht unauffälliger.
Er zwang sich, aufrecht zu gehen, als er die attraktive Blondine bemerkte, die ihn von der anderen Seite der
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