Die Macht der Disziplin
vergessen, wie viel sie bereits gegessen hatten, aber an den Tischen, an denen die Besucher den Beweis vor Augen hatten, war dies nicht möglich. Die Knochen übernahmen die Kontrolle für die Besucher.
Sag niemals nie
Das Ergebnis einer Diät ist in der Regel deprimierend, aber hin und wieder gibt es auch Ausnahmen. Deshalb haben wir uns die beste Nachricht für den Schluss aufgehoben. Sie stammt aus einem Nachtisch-Experiment, das Marketingexperten durchführten, um ein entscheidendes Problem der Selbstbeherrschung zu erforschen: Warum ist es so schwer, Nein zu sagen? Mark Twain brachte es in seinem Roman
Tom Sawyer
auf den Punkt: »Wenn man verspricht, etwas nicht zu tun, dann kann man ganz sicher sein, dass man genau das will.« Das ist einer der frustrierendsten Aspekte der menschlichen Psyche, doch Nicole Mead und Vanessa Patrick fanden Möglichkeiten, wie wir uns selbst austricksen können.
Die beiden Wissenschaftlerinnen begannen mit einem Gedankenexperiment, in dem sie den Teilnehmern Bilder von leckeren Törtchen und Eisbechern präsentierten. Die Versuchspersonen sollten sich vorstellen, dass diese Leckereien im Restaurant auf einem Dessertwagen an ihren Tisch gerollt werden. Einige sollten sich ausmalen, ihrenLieblingsnachtisch auszuwählen und zu essen. Der Rest stellte sich dagegen vor, auf den Nachtisch zu verzichten; die eine Hälfte dieser Gruppe sollte sich vorstellen, dass sie ganz verzichtete, die andere, dass sie den Genuss auf einen späteren Zeitpunkt aufschob.
Danach ermittelten die Wissenschaftlerinnen, wie oft die Gedanken der Teilnehmer später zum Nachtisch abschweiften. Sie wussten, dass wir aufgrund des Zeigarnik-Effekts immer wieder an nicht abgeschlossene Aufgaben denken müssen, weshalb sie annahmen, dass vor allem diejenigen Teilnehmer, die den Nachtisch aufgeschoben hatten, von Gedanken daran heimgesucht würden. Erstaunlicherweise wurden die Genuss-Aufschieber
weniger
von Gedanken an Süßes gequält als die beiden anderen Gruppen. Mead und Patrick waren davon ausgegangen, dass der Verzicht weniger Verlangen wecken würde, da das Gehirn den Fall für abgeschlossen hielt. Aber das Gegenteil trat ein: Der aufgeschobene Genuss suchte die Versuchspersonen weniger heim als der verbotene. 190 Beim Nachtisch wollte das Gehirn offenbar kein Nein gelten lassen, zumindest nicht in diesem Experiment.
Was aber, wenn tatsächliches Essen auf dem Spiel stand? Um das herauszufinden, ließen die beiden Forscherinnen ihre Testpersonen einzeln einen Kurzfilm sehen und setzten ihnen dabei eine Schüssel M&Ms vor die Nase. Einige Teilnehmer sollten sich vorstellen, sie hätten sich entschieden, dass sie während des Films so viele davon essen konnten, wie sie wollten. Andere sollten sich vorstellen, dass sie gar keine Süßigkeiten essen wollten. Und die dritte Gruppe sollte sich vornehmen, die M&Ms nicht jetzt zu essen, sondern später. Die Anweisungen wirkten: Die Teilnehmer der ersten Gruppe aßen deutlich mehr als die der beiden anderen Gruppen. Nach dem Film sollten die Teilnehmer ein paar Fragebögen zur Qualität des Labors ausfüllen, danach war das Experiment nach Ansicht der Teilnehmer beendet.
Während die Teilnehmer den Fragebogen ausfüllten, reichten ihnen die Wissenschaftlerinnen scheinbar spontan die Schüssel mit den M&Ms und sagten: »Sie sind für heute die Letzte, die anderen sind schon alle weg, und die sind übrig. Bedienen Sie sich!« Dann verließensie den Raum und ließen die Testperson mit dem Fragebogen und der Schüssel allein, offenbar ohne sich weiter dafür zu interessieren. Aber wie immer passierte nichts spontan und zufällig. Die Wissenschaftlerinnen hatten die Schüssel zuvor gewogen und wogen sie ein weiteres Mal, nachdem die Testperson gegangen war.
Als die Teilnehmer, die den Genuss aufgeschoben hatten, mit den M&Ms allein waren, hatten sie die Chance, ordentlich zuzuschlagen. Man sollte vermuten, dass sie die Süßigkeiten jetzt mit beiden Händen in sich hineinstopften, während die Teilnehmer, die verzichtet hatten, stark blieben und vielleicht ein paar davon aßen. Doch das genaue Gegenteil war der Fall. Teilnehmer, die den Genuss aufgeschoben hatten, aßen deutlich weniger als diejenigen, die ganz verzichtet hatten.
Das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis. Wenn Sie sich sagen: »Das kann ich später essen«, funktioniert das in Ihrem Gehirn fast so, als würden Sie es schon jetzt essen. Es befriedigt das Bedürfnis bis zu einem gewissen Punkt und kann
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