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Die Macht der Disziplin

Die Macht der Disziplin

Titel: Die Macht der Disziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roy Baumeister
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für ein Projekt zu, bringen das Auto in die Werkstatt, ehe es liegen bleibt, und halten uns von Buffets fern. Wir müssen nicht warten, bis es zu spät ist, sondern können die Initiative ergreifen.
    In diesem Schlusskapitel wollen wir uns einige Strategien ansehen, die uns helfen, die Initiative zu ergreifen. Beginnen wollen wir mit einer offensichtlichen, aber weithin ignorierten Regel: Schieben Sie nichts auf. Aufschieben ist ein verbreitetes Laster. Cicero 194 nannte es »verächtlich« und Jonathan Edwards 195 , Führer der Erweckungsbewegung des 18. Jahrhunderts, widmete dieser »Sünde und Narrheit« eine ganze Predigt. In Umfragen gestehen 95 Prozent aller Befragten, zumindest gelegentlich aufzuschieben (wir haben keine Ahnung, wer die übrigen 5 Prozent sein sollen oder wem sie etwas vormachen wollen). Das Problem scheint mit der Modernisierung der Gesellschaft und den zunehmenden Versuchungen nur immer gravierender zu werden. Der Psychologe Piers Steel 196 , der internationale Daten aus vier Jahrzehnten ausgewertet hat, kommt zu dem Schluss, dass die Zahl der bekennenden Aufschieber – Menschen, die das Aufschieben als persönliches Markenzeichen akzeptieren – weiter zunimmt und heute weltweit bei 20 Prozent liegt. In einigen Umfragen in den Vereinigten Staaten bekennt sich mehr als die Hälfte der Befragten zum chronischen Aufschieben, und Arbeitnehmer schätzen, dass sie ein Viertel ihrer Arbeitszeit – also etwa zwei Stunden am Tag – damit vergeuden. Wenn man vom Durchschnittsgehalt ausgeht, bedeutet das, dass jeder Mitarbeiter pro Jahr 7   000 Euro fürs Nichtstun bekommt.
    Psychologen und Aufschieber wälzen die Schuld gern auf ihren Perfektionismus ab. Angeblich haben Perfektionisten Angst, ein Projektanzufangen, weil sie befürchten, das Ergebnis könne ihren eigenen Ansprüchen nicht genügen, deshalb bekommen sie Ladehemmung und tun gar nichts. Das klingt schmeichelhaft und mag in einigen Fällen sogar zutreffen, doch Wissenschaftler haben bisher vergeblich nach diesem Zusammenhang zwischen Aufschieben und Perfektionismus gesucht. Psychologen könnten dieser Theorie vielleicht deshalb auf den Leim gegangen sein, weil Perfektionisten eher in ihren Praxen vorstellig werden als die weniger ehrgeizigen Aufschieber. Aber es gibt eine Menge anderer Menschen mit hohen Ansprüchen, die nicht aufschieben und gute Arbeit leisten, ohne sich Nächte am Schreibtisch um die Ohren zu schlagen.
    Eine Eigenschaft, die bei Aufschiebern dagegen sehr wohl immer wieder nachgewiesen wird, ist ihre Impulsivität. 197 Diese Verbindung erklärt auch, warum Männer, und vor allem junge Männer, mehr aufschieben als Frauen: Männer haben schwerer kontrollierbare Impulse. Wenn Aufschieber vor einer schwierigen Aufgabe zittern oder sich über einer Routinetätigkeit langweilen, geben sie der Versuchung nach, sich ein wenig aufzuheitern und lieber etwas anderes zu tun. Sie suchen die sofortige Befriedigung und spielen lieber ein Videospiel statt das Geschirr zu spülen oder einen Bericht zu schreiben. Die langfristigen Konsequenzen ignorieren sie einfach. Wenn sie von Gedanken an die bevorstehende Deadline gestört werden, reden sich viele sogar ein, dass es besser ist, bis zur letzten Minute zu warten: »Ich arbeite am besten unter Druck!« Aber meistens machen sie sich etwas vor, wie Baumeister und seine Frau Dianne Tice beobachteten.
    Der Deadline-Test 198
    Das Experiment fand in einer Umgebung statt, in der es vor Aufschiebern nur so wimmelt: an einer Universität. Studenten geben freimütig zu, ein Drittel des Tages mit Arbeitsvermeidung zuzubringen, und wer weiß, wie viel Zeit sie wirklich verplempern. Tice, die an der Case WesternUniversity einen Kurs zum Thema Gesundheitspsychologie unterrichtete, entwickelte verschiedene Methoden, um die Aufschieber in ihrem Kurs zu identifizieren. Zu Beginn des Semesters sollten die Studenten einen Fragebogen zu ihren Arbeitsgewohnheiten ausfüllen. Dann setzte sie als Abgabetermin für die Abschlussarbeit einen Freitag gegen Ende des Semesters fest. Sie kündigte außerdem an, dass Studenten, die diese Deadline verpassten, ihre Arbeit am darauffolgenden Dienstag abgeben konnten, und wer auch das nicht schaffte, konnte sie am nächsten Freitag, also eine ganze Woche nach dem eigentlichen Termin, in ihrem Büro vorbeibringen. Später erfuhr sie, dass sich einige der Studenten, die sich auf dem ersten Fragebogen als chronische Aufschieber zu erkennen gegeben hatten, nicht

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